© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Als die Dämme brachen
Volksverdummung: Der Berliner Senat hält 50 Jahre Einwanderung aus der Türkei für einen Grund zum Feiern
Richard Stoltz

Das war jetzt aber auch allerhöchste Eisenbahn. „Berlin sagt danke!“ verkündet der Senat. Danke an die Westalliierten für die Luftbrücke? Danke an Bayern und Baden-Württemberg für jahrzehntelange Unterstützung im Rahmen des Länderfinanzausgleiches? Nein, keineswegs.

Die Berliner Landesregierung bedankt sich bei – den Türken. Wie man damit doch den Berlinern aus der Seele spricht: „50 Jahre Einwanderung aus der Türkei – Grund zum Feiern!“ lautet die Schlagzeile auf der Internetseite www.berlinsagtdanke.de. Ohne Frage, dieses Jubiläum hätten wohl die meisten Berliner vergessen. Gut, daß der Senat an den 30. Oktober 1961 erinnert. Es war der Tag des Anwerbe-Abkommens von Arbeitern mit der Türkei. Davor war es in Berlin einfach unerträglich: Nur 284 Türken lebten in der Stadt. Danach brachen alle Dämme – heute sind es nach offiziellen Angaben 176.000. Und nur dadurch ist es mit Berlin aufwärtsgegangen.

Trümmerfrauen, deutsches Wirtschaftswunder – alles Phantastereien. Erst die Türken ermöglichten – so wörtlich –, „daß sich die Halbstadt überhaupt ökonomisch entwickeln konnte“.

Das ist nun wirklich ein Grund, um auf die Knie zu fallen und „danke“ zu sagen. Geschichte ist eben immer eine Frage der Interpretation. Und natürlich hat der Senat gar nicht so unrecht. Vielleicht sollte man sich wirklich einmal herzlich bei jenen anatolischen Mitbürgern bedanken, die uns befreit haben von unseren rückständigen Weltanschauungen (Toleranz, Emanzipation), die unsere Wirtschaft in Gang gesetzt haben und bis heute unsere Sozialkassen prall füllen.

Natürlich gilt unser Dank auch den Politikern, die die multikulturelle Gesellschaft jeden Tag schönreden und erweitern. Danke, daß Ihr uns dieses orientalische Flair ermöglicht, sich wie im Türkei-Urlaub zu fühlen. Und danke, daß Ihr bösen Realisten wie Thilo Sarrazin den Mund verbieten wollt. Nur eines verstehen wir nicht: Warum zieht Ihr weg aus diesem Garten Eden, spätestens sobald Eure Kinder in die Schule gehen müssen?

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