© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Keine Experimente mehr!
Geschlossene Häßlichkeit: Am Sonntag enden die diesjährigen Bayreuther Festspiele mit „Tristan und Isolde“
Werner Dremel

Die Verzweiflung Wotans in der „Walküre“ kann man nachfühlen, wenn man die Inszenierungen der letzten Jahre in Bayreuth miterlebt hat: Bayreuth bis etwa zum Jahr 2000 und dann Bayreuth danach, Jahr für Jahr – ein Kulturbruch. Mit Christoph Schlingensiefs „Parsifal“, Katharina Wagners „Meistersingern“, Hans Neuenfels’ „Lohengrin“ und Sebastian Baumgartens „Tannhäuser“ brach eine neue Dimension ein. Man weiß nicht mehr, ob Regisseure und Bühnenbildner sowohl Wagner als auch sich selbst noch ernst nehmen oder ob sie einfach ein riesiges Gaudium veranstalten; ob sie nicht anders können oder Wagner und die Bayreuther Festspiele lächerlich machen wollen. Es ist jedenfalls zum Verzweifeln. Nur: Was schert es den Mond …

Die Kulisse auf dem Grünen Hügel ist zwar dieselbe geblieben, in erster Linie das Festspielhaus, das Pausengetümmel, das Ritual der Ankündigung des Pausenendes durch die Bläser auf dem Balkon, und manches mehr – Bayreuth eben, wie es leibt und lebt.

Der Schlag erfolgt dann spätestens nach oder – wie im diesjährigen „Tannhäuser“ – schon während des Vorspiels. Nicht einmal der versierte Wagner-Kenner würde beim „Abschalten“ des Tones erkennen, um welches Werk es sich handelt. Man vergleiche dazu nur einmal Textauszüge Wagners mit der Baumgarten-Inszenierung (siehe Gegenüberstellung oben auf dieser Seite). Da erübrigt sich jeder Kommentar. Was ist geschehen?

Ausufernde Erklärungsbedürftigkeit des Themas durch Pressemitteilungen und Handzettel ist Zeichen einer schlechten Inszenierung. Bühnenbild und Personenführung sind dazu da, um per se zu erklären – wozu sonst wären sie wohl nötig? Dieser Meinung sind die Neuenfels’ und Baumgartens und andere Stückezertrümmerer aber offensichtlich nicht. Sie erschaffen ihren Tannhäuser, ihren Lohengrin, ihre Meistersinger, und verwenden dazu die Musik Richard Wagners, benutzen sein Festspielhaus.

Fangen wir mit dem einzigen guten Regieeinfall an: der Integration des Venusbergs in die Wartburg (hier leider des Käfigs in das Kraftwerk). Selten hat man die Ambivalenz des Geschehens so deutlich – aber ohne Belehrung durch den bewußten Dampfhammer – umgesetzt. Die Ritter dringen selbst (neu)gierig in den Venusberg ein, wofür sie Tannhäuser verdammen, sogar vernichten wollen. Die Zwiespältigkeit einer Geisteshaltung, die uns heute, Gott sei dank, fremd geworden ist.

Aber sonst! Wieland und Wolfgang Wagners „Neu-Bayreuth“, die Entlastung des Werks Richard Wagners von der Bühne her, scheint nicht stattgefunden zu haben. Alles ist hoffnungslos überfrachtet, vollgestellt mit technischen Apparaturen und Aufbauten. Als ob dies nicht genug wäre, lenken sinnlose Aufschriften und besagter Film im Hintergrund vom Spiel der Personen und – was noch viel schlimmer ist – von der Musik ab. Kurzum: Die Einheit von Musik, Bühnenbild und Personenregie fehlt, die Umsetzung des „Regiekonzepts“ ist nicht gelungen, das Gesamtkunstwerk ist auf der Strecke geblieben – was kann man Schlimmeres noch sagen!

Die Sänger haben es bei dieser Konstellation schwer. Lars Cleveman als Tannhäuser hält sich trotzdem ordentlich, Stephanie Friede als Venus und Camilia Nylund als Elisabeth sind nicht tonsicher. Michael Nagy als Wolfram und vor allem Günter Groissböck als Landgraf dagegen überzeugen mit lyrischem und markantem Wohlklang, sie sind die Stimmen dieser Aufführung.

Der für den wenige Stunden vorher erkrankten Dirigenten Thomas Hengelbrock eingesprungene Peter Tilling meisterte nach einem schwachen Anfang das Werk mit beachtlichem Einfühlungsvermögen und gesteigerter Differenzierung.

Wie immer der Lichtblick: der Chor unter Eberhard Friedrich. Die gewaltigen Partien sind gewissermaßen das Rückgrat des Werks. Dieser grandiose Chor, in seiner Aktion optisch oft bis zur Absurdität entstellt, läßt manches vergessen und versöhnt.

Isoldes Liebestod im Klinikbett

„Tristan und Isolde:“ Das Regiekonzept Christoph Marthalers besteht augenscheinlich darin, durch die seltsame Beziehungslosigkeit der Figuren untereinander einen optischen Generalkontrast zu jener unendlichen Leidenschaft zu erzeugen, die durch die wogende Musik ausgedrückt wird. Das mag gedanklich interessant sein, geht aber in der Umsetzung daneben. Denn ein solcher Ansatz ist an sich schon nicht ergiebig, weil er gegen die Musik aufgebaut ist, und das kann nicht gutgehen. Erst recht aber nicht, wenn das Ganze durch allerlei Schnickschnack „angereichert“ ist: Da stehen die Akteure laufend mit dem Gesicht zur Wand wie bestrafte Schulschwänzer – sie können sich das Ganze wohl selbst nicht mehr mit ansehen – und tragen Billigkleider, Mäntel und Anzüge aus den fünfziger Jahren.

Das Bühnenbild (Anna Viebrock)wandelt sich von einer unaufgeräumten Schiffslounge, mit Sesseln und Sofas planlos vollgestellt – immerhin ein Bezug zum Stück, das ja im 1. Akt auf einem Schiff spielt –, über denselben, im 2. Akt total ausgeräumten Saal zu einem Raum mit verrottenden Wänden im 3. Akt, in dem ein Klinikbett mit umgebendem Laufstall steht. In diesem Bett liegt zunächst sterbend Tristan, der es aber dann verläßt, um Isolde für ihren Liebestod Platz zu machen.

Das Ergebnis dieser Inszenierung ist geschlossene Häßlichkeit und öde Langeweile. Nur ganz gelegentlich erinnert sich der Regisseur an Wagners Textanweisungen, so bei „O sink hernieder, Nacht der Liebe …“: Tristan zieht Isolde sanft zur Seite, senkt sich vor ihr auf die Knie und schmiegt sein Haupt in ihren Arm – aber das war’s auch schon.

Um so mehr baut Dirigent Peter Schneider musikalisch eine Spannung auf, die ihresgleichen sucht. Vom Vorspiel bis zum Liebestod entwickelt sich die „unendliche Melodie“ in ihrer ganzen Gewalt, „ein Abgrund“, wie Wagner selbst meinte. Dabei bleibt der Tonstrom immer differenziert und gegliedert.

Die Hauptpartien liefern eine schöne, gut aufeinander abgestimmte Ensembleleistung: Robert Dean Smith als Tristan, Irene Theorin als Isolde, Michelle Breedt als Brangäne, Jukka Rasilainen als Kurwenal, und Robert Holl als Marke. Nur schade, daß die Sänger durch diese gegen sie gerichtete Regie nicht entsprechend agieren dürfen – sie hätten es verdient.

Ausblick: Wir leben im Zeitalter des Relativismus. Klare Aussagen sind verpönt, alles ist gleich gut, und damit gleich schlecht – in der Kunst ebenso wie in der Politik. Und so findet man das Schlechte noch verhältnismäßig gut im Vergleich zum noch Schlechteren – bis es eben nicht mehr noch schlechter werden kann. Doch auf dem Grünen Hügel ist der Rubikon längst überschritten, die Festspielleitung muß das Ruder herumreißen. Bayreuth ist kein Event, und das Festspielhaus keine Experimentierbühne! Dabei droht schon neues Unheil: Für eine „Ring“-Neuinszenierung 2013, dem zweihundertsten Geburtsjahr Richard Wagners, soll ausgerechnet Frank Castorf als Regisseur so gut wie sicher in der Pflicht stehen.

Immerhin: Im nächsten Jahr dürfen sich Wagnerianer zunächst mit Christian Thielemann als einem der großen Wagner-Dirigenten unserer Zeit auf einen uneingeschränkten Musikgenuß freuen.

 

Prof. Werner Dremel ist seit etwa dreißig Jahren ständiger freier Musik-, vor allem Festspielkorrespondent für verschiedene Medien.

 

TANNHÄUSER – Eine Gegenüberstellung

Ausschnitte aus dem Textbuch

 

WAGNER, 1. Aufzug

Die Bühne stellt das Innere des Venusberges dar. Weite Grotte … Aus einer zerklüfteten Öffnung … stürzt sich die Höhe der Grotte entlang ein grünlicher Wasserfall herab, wild über Gestein schäumend … fließt nach dem ferneren Hintergrunde der Bach hin, welcher dort sich zu einem See sammelt, in welchem man die Gestalten badender Najaden und an dessen Ufern man gelagerte Sirenen gewahrt …Jünglinge … welche sofort den verlockenden Nymphen folgen … ein Zug von Bacchantinnen, welcher durch die Reihen der liebenden Paare, zu wilder Lustauffordernd, daherbraust.

 

BAUMGARTEN, 1. Aufzug

Die ganze Bühne ist vollgestellt mit einem Biogaskraftwerk, ein großer Tank im Hintergrund, links und rechts begehbare, bis zur Decke hohe Aufbauten, auf denen geschäftig Männer und Frauen in Arbeitskleidung – meistens rote und blaue Hosen und weiße T-Shirts – auf und ab laufen und verschiedene Verrichtungen ausführen.

Ganz an der Rückseite der Bühne läuft, in der Art von Schlingensiefs „Parsifal“- Inszenierung, ein meist nicht identifizierbarer Schwarzweißfilm schlechtester technischer Qualität ab. Manchmal glaubt man herumschwirrende und sich teilende Amöben, oder Spermien, oder Atome zu erkennen.

Der Venusberg ist ein riesiger, runder Käfig, der, je nach Bedarf, aus dem Boden auftaucht und wieder in ihm verschwindet. Tannhäuser und Venus, im Käfig, sind von wild kopulierenden Urmenschen, affenartigen Wesen und scheußlichen, riesenpilzartigen Hermaphroditen umgeben – ein Triumph des Genderismus.

 

WAGNER, 2 . Aufzug

Die Sängerhalle auf der Wartburg. Nach hinten freie Aussicht auf den Burghof und das Tal … Grafen, Ritter und Edelfrauen werden durch Edelknaben eingeführt.

BAUMGARTEN, 2. Aufzug

Biogaskraftwerk. Auf den verschiedenen Stockwerken stehen Personen, wohl das Volk, und im ähnlichen Kleidungsaufzug sitzen unten die „Grafen und Ritter“.

 

WAGNER, 3. Aufzug

Tal vor der Wartburg, links der Hörselberg … vor dem Marienbild liegt Elisabeth … Es ist Nacht geworden. Tannhäuser tritt auf … er wankt matten Schrittes an seinem Stab.

BAUMGARTEN, 3. Aufzug

Biogaskraftwerk. Darin zieht der Pilgerchor als emsig mit Besen fegende Putzkolonne ein – wohl Erklärung der Reinigung von den Sünden mit dem Dampfhammer.

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