© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Der Flaneur
Fest verwurzelt
Felix Springer

Zwischen dem Asphalt der Straße und den Betonplatten des Gehweges haben fürsorgliche Hände schon vor Jahrzehnten eine streng gepflanzte Baumreihe angelegt, die Passanten wie mir jetzt für einige Minuten eine schattige Stirn gestattet. Die geduldeten Stämme sind alle gleichmäßig schlank und gerade, mit ebener Rinde nebeneinander und exakt entsprechend der gärtnerischen Kalkulation gewachsen.

Die Menschen der Stadt müssen ihren Blick erst auf die Kronen richten, um die unverwechselbare Eigenheit jedes dieser wuchtigen Holzgeschöpfe vor Augen zu haben. Zwischen dem im August nicht mehr ganz jungen Grün hat jeder Stamm seine eigene Astordnung gefunden, mal im Sinne der Menschenordnung und mal gegen sie. Wo sich aber ein sonnenhungriger Auswuchs zu deutlich über den Asphalt begab, haben schwere Amtsmaschinen die Rückkehr zur Ordnung erzwungen und die Kronen zum Schutz des Verkehrs klar konturiert.

„Braunrote Farbe rieselt wie Herbstlaub auf die freiliegenden Baumwurzeln.“

Der Rand des schmalen Streifens Mutterboden, der den hohen Gehölzen ihren Halt gibt, ist von einem eisernen Gestänge gestaltet, das wohl in früheren Zeiten den noch jungen Bäumen Schutz vor den Unvorhersehbarkeiten der Metropolenwelt bieten sollte. Ich lasse meinen rechten Zeigefinger leicht über das Metall laufen, die braunrote Farbe rieselt wie Herbstlaub auf die freiliegenden Baumwurzeln.

Auf der anderen Straßenseite bemüht sich eine Latino-Bar um authentisch mittelamerikanisches Rum-und-Zigarren-Flair, weshalb der bierbäuchige Kellner die meist studentischen Gäste stets mit einem längst verfloskelten „Holá Señores!“ begrüßt. Mit viel Detailliebe hat man dem frischen Putz einen rissigen Anschein, der Eingangstür einige Rostflecken und den Angebotskarten eine verblichene Schreibmaschinenschrift verpaßt. Ich freue mich über die Gründlichkeit, mit der man alles so exotisch-verfallen wirken läßt, und setze meinen Heimweg fort.

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