© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Die Leiden des Guido W.
Außenpolitik: Der Streit um Guido Westerwelle ist mehr als eine Personaldebatte
Günther Deschner

Als es Guido Westerwelle 2009 gelungen war, seine FDP mit einem Rekordergebnis von 14,6 Prozent – nach elf Jahren Opposition – zurück an die Macht zu führen, machte er den gravierenden Fehler: Er setzte seine Ernennung zum Außenminister durch – und blieb gleichzeitig den Querelen der Innenpolitik, den Niederungen des Parteienklüngels und den Zänkereien der Sozialpolitik („spätrömische Dekadenz“) verhaftet. Auf diese Weise wurde er zum einzigen Außenminister, der den „Amtsbonus“, den dieses Amt mit sich bringt, nicht für sich reklamieren konnte.

Alle Amtsvorgänger – ob Brentano, Scheel, Genscher und sogar Fischer – gehörten zu den beliebtesten Politikern des Landes. Nur von Guido Westerwelle glaubt die große Mehrheit bis heute, er sei ein „schlechter Außenminister“. Einen „Kardinalfehler“ nannte es der Parteienforscher Oskar Niedermayer, einen solchen Mann die Auswärtigen Interessen Deutschlands, der „europäischen Zentralmacht“, vertreten zu lassen. An der Kritik ist vieles richtig: Schon mit seinen ersten Auftritten im Amt ist Westerwelle durch Wichtigtuerei und Selbstüberschätzung, die Unkenntnis historisch-politischer Zusammenhänge und mangelndes Gespür für Nuancen als „Tölpel auf dem diplomatischen Parkett“ aufgefallen. Er war auf diesem Posten nicht „Kapitän“, sondern „Leichtmatrose“. So richtig ernst genommen konnte er schwerlich werden – aber die Kanzlerin ließ ihn weiter Außenminister spielen.

In die Schußlinie der Mandarine der deutschen Politik – von Helmut Kohl bis Helmut Schmidt – geriet er erst, weil er vor Monaten mit der Enthaltung im Weltsicherheitsrat in Sachen Libyen anders gestimmt hatte als die Nato-Partner Frankreich, Großbritannien sowie die Vereinigten Staaten und weil sich daraus die Zurückhaltung Deutschlands bei der Bomber-Intervention der Nato im libyschen Bürgerkrieg ergeben hatte. Da hatte er nun seine einzige außenpolitische Entscheidung von Belang getroffen und nun bringt ihn genau diese Enthaltung in schwere Turbulenzen.

Seine ungeschickten Erklärungen danach lenkten noch schwereres Feuer auf ihn, weil er nach dem Erfolg der libyschen Rebellen tagelang vermieden hatte, auch den militärischen Beitrag der Nato zur Beendigung der Gaddafi-Herrschaft zu würdigen. Seit ihr Ziehvater Kohl erklärte, Deutschland sei innen- und außenpolitisch „keine berechenbare Größe mehr“, stehen Merkel und ihre Mehrheitsbeschafferin, die FDP, deswegen innenpolitisch unter Druck.

Wie zu hören war, gab es für die Entscheidung der FDP, Angela Merkel doch (noch?) nicht die Ernennung eines neuen Außenministers vorzuschlagen, zwei Gründe: Zum einen betrachtet die FDP-Spitze einen Ministersturz als gefährlich für die ohnehin düsteren Wahlaussichten der Partei bei den bevorstehenden Landtagswahlen. Zum anderen habe Westerwelle durch seinen Aufsatz „Die Welt so sehen, wie sie ist“ in der Welt am Sonntag seine bisherige Haltung zu Libyen widerrufen. Westerwelle kroch dort mit dem Satz zu Kreuze: „Wir sind froh, daß es den Libyern auch mit Hilfe des internationalen Militäreinsatzes gelungen ist, das Gaddafi-Regime zu stürzen.“ Die Kritik an Westerwelle ist weder neu noch falsch. Wer würde behaupten, der ehemalige FDP-Chef habe als Außenminister jemals eine gute Figur gemacht? Gleichwohl schwingen im geballten Angriff auf ihn Hinterfotzigkeit und jede Menge Besserwisserei mit. Denn für seine Vorsicht gegenüber der Nato-Intervention in Libyen hatte es gute Gründe gegeben. Zweimal hat der Westen im vergangenen Jahrzehnt in muslimischen Ländern militärisch eingegriffen, im Irak und in Afghanistan, beide Male mit einem katastrophalen Resultat. Vieles sprach dafür, daß es in Libyen nicht anders sein würde.

Westerwelle hätte niemals Außenminister werden dürfen. Aber jetzt seine Haltung in der Libyen-Frage zu instrumentalisieren, ihn aus dem Amt zu jagen, ist mehr als schäbig. Neben seinen „Parteifreunden“ spielen auch die Oppositionsparteien dieses Spiel mit. Nur in der CDU hält man sich zurück. Weil es eine zusätzliche Schwächung der Koalition bedeutet, sieht man sich die Personaldecke der FDP an, und weil die Regierungschefin in der Libyen-Frage genauso positioniert war. Da wäre es – nicht nur aus diesem Grund – angemessen, auch den Rücktritt von Frau Merkel zu fordern.

Die Staatsaffäre Westerwelle beleuchtet aber vor allem ein tiefergehendes Problem. Es betrifft die außenpolitische Souveränität Deutschlands als solche und wirft die Frage auf, ob Berlin nach dem Willen seiner tatsächlichen (und der vermeintlichen) Verbündeten überhaupt einen eigenen außenpolitischen Willen haben wollen darf. Seit der Wiedervereinigung und dem Ende der Blöcke, seit dem Übergang von Bonn nach Berlin, ist es das außenpolitische Gestaltungsproblem Deutschlands, seinen Standort in Europa und der sich fundamental verändernden Welt zu justieren und offenere politische Optionen sichtbar zu machen – die eigenen strategischen Allianzen zu bekräftigen und vergleichbar gute Beziehungen wie zu Washington und Paris auch zu den Mächten der Zukunft (Brasilien, Rußland, Indien und China) zu finden. Und das ist nicht nur eine Frage der angeblichen oder tatsächlichen Untauglichkeit Guido Westerwelles.

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