© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Grüße aus Riga
Erstaunte Blicke
Bruno Pakalns

Ein Tag 15 Grad, den anderen über 25. Dann wieder Rolle rückwärts. Von 25 auf unter 15 Grad.

Ja, man wähnt sich nicht in einer alten Hansestadt, sondern in den rauhen Gefilden der schottischen Highlands. Doch deren Hauptstadt Inverness liegt nun mal mit Riga auf fast demselben Breitenkreis. Ein symbolträchtiges Bild von der neuen europäischen Realität. Der früher durch die Kriegsfolgen und den Eisernen Vorhang getrennte Osten Europas stellt die Beziehung zum Westen wieder her.

Doch fern der hehren Symbolik ist die Lage hier in Riga alles andere als idyllisch. Das Land und vor allem auch die Hauptstadt werden von massiven sozialen Problemen geplagt. Das Bild einer für das Ausland und explizit für den Brüsseler Politikbetrieb geschönten politischen Stabilität trügt. Hinter der Fassade verbirgt sich eine andere Wirklichkeit.

Ein Bummel aus der Altstadt über die Valņu iela hinunter Richtung Zentralmarkt genügt, und der aufmerksame Beobachter erkennt, wie mühselig und beladen viele Passanten daherkommen. Und warum stehen viele Frauen so unschlüssig vor den Regalen in den üppig ausgestatteten Supermärkten? Sie vergleichen akribisch die Preise. Was ist überhaupt noch finanzierbar?

Der Boom der letzten Jahre ist zerronnen. Wehmütig geht der Blick zurück. Galt Riga einst nicht als Paris des Nordens? Doch halt. Die Pracht und den Reichtum von einst merkt man der Stadt immer noch an. Nicht umsonst legt beinah jeden Tag ein Kreuzfahrtschiff im Rigaer Passagierhafen an.

Gruppenweise traben die Reisenden dann durch die Altstadt. Es erklingt hie und da Italienisch, Schwedisch, Englisch. Na klar – auch Deutsch, das hier seit Gründung der Stadt und über sieben Jahrhunderte hinweg die Amtssprache war und das Land sowohl wirtschaftlich als auch kulturell prägte.

Irgendwann stehen die Stadtbesucher dann alle auf dem Rathausplatz vor dem imposanten Roland und blicken voller Erstaunen auf die Fassade des wiederaufgebauten Schwarzhäupterhauses, der ehemaligen Repräsentanz des hanseatischen Stolzes.

Hier spricht dann doch etwas mehr als bloße Architektur – das Alte hat sich wieder ins Neue umgewandelt. Ein untrügliches Zeichen für die langsame aber stete Rückkehr Rigas in den westlichen Kulturkreis. Weitab der schottischen Highlands.

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