© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Zwielichtiger Friede
Syrien: Ein eigentümliches Konglomerat gegensätzlicher Interessen und Machtambitionen läßt dem Assad-Regime bis dato freie Hand
Sven Foligowski

Der internationale Druck auf Syrien wächst. Aber nicht weil der Westen sich um das syrische Volk sorge, sondern weil Syrien in den Augen des Westens ein Problem in der Region darstellt und sie von Syrien Zugeständnisse fordern“, erklärte Baschar al-Assad vor einigen Tagen bei einem syrischen Bankett. Genauso wie der ehemalige libysche Staatschef Muammar Gaddafi ist auch Assad davon überzeugt, daß der Westen die seit März anhaltenden Unruhen geschürt hat. In diesen Tagen wird er oft mit Gaddafi verglichen. Es gibt zahlreiche Parallelen. Ebenso wie sein ehemaliger libyscher Amtskollege ist auch Assad ein autoritärer Staatschef, der die Proteste der Opposition blutig niederschlagen läßt und seine Kritiker zum Schweigen bringen will. Fraglich ist, ob letztlich auch Assad mit Hilfe des Westens gestürzt werden wird.

Noch Anfang des Jahres hatte sich Assad im Gespräch mit dem Wall Street Journal angesichts der Proteste in Ägypten für ein Umdenken unter den arabischen Machthabern ausgesprochen. „Wenn man die Notwendigkeit von Reformen vor den Ereignissen in Ägypten nicht erkannt hat, ist es zu spät dafür.“ Mittlerweile zeigt Assad mit seinem Handeln, daß auch er die Notwendigkeit von Reformen anders interpretiert. Nach Angaben der Uno sind bisher bei Unruhen in Syrien mehr als 2.200 Menschen ums Leben gekommen.

Noch sind die Demonstranten dezentral organisiert. Während sich in Istanbul eine Exil-Opposition formiert, besteht sie in Syrien selbst nur aus einzelnen kleinen Gruppen. „Wir verabreden uns elektronisch, etwa 36 Stunden vorher“, schildert Muhammad A., Aktivist in Damaskus der Zeitschrift Zenith. „Eine Demo dauert 15 Minuten und wird gefilmt. Danach – spätestens – rücken die Shabiha an.“ Shabiha, zu deutsch „Gespenst“, sind Assads skrupellose Söldner.

Mit Zunahme der Gewalt wächst auch die Kritik. Mehrere Staaten, allen voran die Türkei, fordern tiefgreifende Reformen und ein Ende der Gewalt. Der türkische Ministerpräsident Recep T. Erdoğan erklärte, ein Regime, das unbewaffnete Menschen töte, könne keinen Bestand haben. Erstmals forderte nun auch die Arabische Liga Syrien zu weitreichenden Reformen auf und entsandte eine Delegation nach Damaskus. Der Iran und die Hizbollah sind die einzigen halbwegs Verbündeten in der Region, die Assad noch geblieben sind. Doch die Bande sind brüchig.

Währenddessen tun sich die Vereinten Nationen schwer, eine gemeinsame Haltung zu finden. Die Vetomächte China und Rußland, die beide sehr gute wirtschaftliche Beziehungen zu Syrien pflegen und einen möglichen weiteren Einflußzuwachs des Westens fürchten, sprachen sich gegen die von den USA geforderten Sanktionen aus, Brasilien, Indien und Südafrika äußerten Einwände. Rußland, das im syrischen Tartus seinen einzigen Marinestützpunkt im Mittelmeerraum besitzt, legte unterdessen einen Resolutionsentwurf vor, in dem das Regime zu Reformen und einem sofortigen Ende der Gewalt aufgefordert wird.

Das Problem bei einer Entscheidungsfindung ist vor allem die herrschende Ratlosigkeit: „Niemand weiß genau was in Syrien geschieht“, erklärt Giampaolo Pioli, UN-Korrespondent der italienischen Zeitung Quotidiano Nazionale. Syrien läßt sich eben nicht mit Libyen vergleichen. Die geopolitische Lage Syriens im Mittelpunkt des Krisengebietes Nahost und des sunnitisch-schiitischen Spannungsfeldes verschärft den Konflikt zusätzlich. Hinzu kommt die Befürchtung der arabischen Nachbarn, daß es zu einem Machtvakuum in der Region kommen könne – zum Vorteil Israels.

Doch auch bei den finanziell angeschlagenen Nato-Staaten wächst die Furcht vor einer Resolution mit militärischen Sanktionen gegen Syrien. So betont US-Außenministerin Hillary Clinton immer häufiger den Willen des syrischen Volkes, „keine militärische Hilfe von außen erhalten“ zu wollen. Ein militärisches Eingreifen gilt es angesichts der religiösen und ethnischen Heterogenität sowie der syrischen Truppenstärke zu vermeiden. Nicht wenige befürchten, daß sich Syrien bei einer militärischen Intervention zu einem zweiten Irak entwickeln könnte.

Foto: Ein Foto aus „besseren“ Tagen: Syriens Staatschef Baschar al-Assad trifft Muammar Gaddafi im Januar 2010

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