© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Riskante Geschäfte
Landwirtschaft: Der Milchterminhandel kommt bislang nicht in Schwung / Marktvolumen für große Spekulanten noch zu gering
Harald Ströhlein

Bankrotte Länder, schwindsüchtige Leitwährungen und insolvente Banken: Die Finanzwelt ist aus den Fugen geraten. Angesichts dieses Fiaskos stellt sich die Frage, ob die ausgelobte kompromißlose Integration von Agrargütern in die spekulativen Schaltzentralen von New York oder Frankfurt erstrebenswert ist. Dabei geht es weniger um den Handel mit Agrarrohstoff-Aktien bzw. Fonds, denen – zumindest zum Zeitpunkt des Erwerbs – ein Realwert zugrunde liegt. Vielmehr ist die Rede von Warentermingeschäften, die über das Prinzip der terminfixierten Finanztransaktion imaginärer Waren – also ohne physische Erfüllung – funktionieren.

Beispiel: Schon heute werden Kontrakte eines Rohstoffes zu einem konkreten Preis im Oktober verkauft, während zu diesem Zeitpunkt die gleiche Warenmenge zu einem dann hoffentlich niedrigeren Preis – denn dann entstünde Gewinn – zurückgenommen wird. Es ist unschwer nachzuvollziehen, daß sich Zockern ein reizvolles Spielfeld bietet.

Während Getreide an den weltweiten Börsenplätzen für Agrarrohstoffe in Chicago oder Paris seit Jahren im großen Stil gehandelt wird, sollen auch Milch und Derivate davon, also Butter und Magermilchpulver, das Portfolio erweitern. Der Start des Milchterminhandels an der Eurex in Frankfurt 2010 ging glatt daneben, doch auch der Getreidehandel führte anfangs ein Nischendasein in der großen Welt der Börse.

Mittlerweile werden bis zu 95 Prozent aller Geschäfte mit Ölsaaten wie etwa Raps direkt oder indirekt über die Börsen abgewickelt. So orientieren sich landwirtschaftliche Unternehmer und der Landhandel an den Börsennotierungen, wenn beispielsweise die aktuelle Erntemenge an Weizen verkauft bzw. gekauft werden soll. Ohne „liquide Mittel landwirtschaftsfremder Profianleger“, so ein Marktfruchterzeuger aus Mecklenburg-Vorpommern, „würde der Kontrakthandel erlahmen“. Einen wesentlichen Vorteil sehen die Ökonomen in einer strategischen Absicherung gegenüber der von Erzeugern gefürchteten extremen Preisvolatilität, wenn etwa Erlösausfälle infolge von Kalamitäten drohen oder sich durch die „Tank-Teller-Situation“ bei der Verwendung von Agrarrohstoffen temporäre und lokale Engpässe ergeben. Gleichwohl steht fest, daß der Warenterminhandel das Preisniveau per se nicht erhöht.

Dies mag ein Grund sein, warum nun insbesondere der Milchterminhandel noch nicht floriert. Möglicherweise mangelt es auch am erforderlichen Marktvolumen, welches die berühmt-berüchtigte „Phantasie“ auf den Märkten anregen kann. Der konservative Milcherzeuger jedenfalls wird in seiner eigentlichen Rolle als Produzent in der Regel kaum auf die Idee kommen, seine mit eigenen Händen gewonnene Ware leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Eher käme die Aufgabe den in Genossenschaften organisierten Milcherzeugern zu, die jedoch einer effektiven Vermarktung ihrer Produkte seit Jahrzehnten hinterherhinken. Und Molkereien der freien Marktwirtschaft, die in ihrer ursprünglichen Funktion als zuverlässige Milchpreisauszahler ihren Milchlieferanten verpflichtet sind, sehen sich – zumindest derzeit – als risikofreudige Börsengänger offensichtlich überfordert.

Die Berührungsängste bei Erzeugern, bei den Verarbeitern und Händlern vor dem Terminhandel öffnen branchenfremden Investoren, die auf die Marge zwischen Verkauf und Ankauf spekulieren, Tür und Tor. Daß aber Agrargüter, die eine fundamentale Rolle in einer elementaren Wertschöpfungskette einnehmen, nicht von egoistischen Profiteuren skrupellos verramscht werden, bedarf einer globalen Regulierung, möglicherweise auf G20-Ebene.

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