© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Ruf nach den Wölfen
Neofolk: Die US-Band Blood Axis in Deutschland
Baal Müller

Keinen Raum für Nazis“ prangte am 20. August neben dem Eingang der Leipziger Theaterfabrik, aber zu mehr als dieser nächtlichen Schmiererei hat sich der „antifaschistische Widerstand“ nicht aufraffen können. Dies ist umso bemerkenswerter, als es bereits seit Juni eine Diskussion um die US-Band Blood Axis gegeben hat: Insbesondere die örtliche Linkspartei hatte ein Verbot des Auftritts gefordert. Da die Kräfte der militanten „Antifa“ jedoch durch eine geplante NPD-Demonstration gebunden waren, ging das Konzert störungsfrei über die Bühne.

Von einer Normalisierung kann dennoch nicht gesprochen werden: Eine Tafel mit 69 untersagten Symbolen erscheint in einer freiheitlichen Gesellschaft kürzungsbedürftig. Vorsorglich hatte der Veranstalter die Liste gesetzwidriger Codes um viele verlängert, selbst „unschuldige“ Thorhämmer mußten unter den schwarzen T-Shirts verschwinden – angesichts der dort zuweilen anzutreffenden Runen würde es sich vielleicht lohnen, die Besucher durch weitere Symbolverbote zum Kauf „korrekter“ Band-Shirts zu bewegen. Glücklicherweise hat Blood Axis auch nach gut zwanzig Jahren, in denen mit „The Gospel of Inhumanity“, „Blot – Sacrifice in Sweden“ oder „Born Again“ nur wenige, dafür um so aufwendiger konzipierte Alben erschienen sind, solche Geschäftsideen nicht nötig.

Schon die Vorgruppen heizten dem Publikum in der ausverkauften Theaterfabrik kräftig ein: Uwe Nolte begeisterte als Sänger von Barditus mit seiner unnachahmlichen Mischung aus martialisch röhrendem Gesang und flapsigen Zwischenkommentaren, und der Brite Andrew King bot mit beschwörender Stimme und mächtigem Trommelschlag musischen Genuß und schweißtreibende Arbeit.

Als dann aber Michael Moynihan, Sänger und Kopf der Band, auf die Bühne trat und den Schlegel über seine Bodhran flitzen ließ, während Annabel Lee ihre Geige zum Tanzen brachte, regte sich bei den Zuhören eine bei Neofolk-Konzerten unübliche Beweglichkeit, die bei Titeln wie dem von Joy Division gecoverten „We walked in Line“ ihren Höhepunkt erreichte; und wenn selbst ein Kenner wie der JF-Autor Martin Lichtmesz hinterher bekundete, er habe ein „religiöses Erlebnis“ gehabt, so will das bei aller scherzhaften Zuspitzung einiges heißen.

Eindrucksvoll war die für diese Subkultur charakteristische Präsenz von Hochkultur und Abseitig-Verschollenem: etwa als Moynihan Lieder Walters von der Vogelweide sang oder als aus fünfhundert Kehlen „Wir rufen deine Wölfe“, ein von Blood Axis vertontes Gedicht des neuheidnischen Schriftstellers Friedrich Hielscher, ertönte.

Der „Konservative Revolutionär“ und NS-Gegner Hielscher war beinahe die einzige Avance an Verschollenes aus dem 20. Jahrhundert. Hatte Moynihan als Musiker, Autor und Verleger in den neunziger Jahren durch Bezugnahmen auf Gestalten wie den SS-Runenmystiker Karl Maria Wiligut oder den esoterischen Kulturphilosophen Julius Evola, durch seine Bekanntschaft mit dem Mörder Charles Manson, die Verwendung des Kruckenkreuzes als Band-Signet oder durch den Vertrieb der englischsprachigen Ausgabe von Gaddafis „Grünem Buch“ kaum etwas ausgelassen, um seinen Ruf als Provokateur zu kultivieren, so scheint dergleichen heute eine geringere Rolle zu spielen.

Zwar bemühte sich die örtliche Presse, nach „Unkorrektheiten“ zu fahnden, wurde aber wenig fündig: Der Hinweis auf das affirmative „we“ anstelle des ursprünglichen „they“ im Refrain des Joy-Division-Klassikers dürfte kaum Empörung ausgelöst haben, und die einzige brisante Anknüpfung an Gestriges – die Vertonung eines Gedichts des NS-Dichters Herybert Menzel in einer Übersetzung von Miguel Serrano auf der CD „Born Again“ – fiel offenbar nicht auf.

Die relative Zurücknahme mag an Moynihans intellektueller Entwicklung liegen; vielleicht hängt sie auch damit zusammen, daß er in Deutschland aufgetreten ist. „In Amerika ist manches freier“, sagte er und zeigte schon durch seine freundlich-schlichte Art, daß er in erster Linie ein radikaler Freigeist auf der Suche nach Rückbindung in Mythos und Geschichte ist. Der Name der Band, der auf die Achsenmächte des Zweiten Weltkriegs anspielt, ist noch Provokation genug.

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