© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Unprofessionelle Reaktion
Ungarn: Staatsrundfunk baut Wasserkopf ab / Von einer „Säuberungsaktion“ kann keine Rede sein
Jan Mainka

Mitte Juli gab der neue Eigentümer der ungarischen öffentlich-rechtlichen Medien, MTVA, die Entlassung von 550 Mitarbeitern bekannt. Während die ungarische Regierung diesen schon lange abzusehenden Schritt mit wirtschaftlichen Überlegungen begründete, machten einige Betroffene sowie die ungarische Opposition sofort eine „politische Säuberung“ daraus. Ein Großteil der deutschen Medien übernahm diese Sichtweise unreflektiert.

Die blauen Briefe kamen nicht aus heiterem Himmel. Schließlich hat die Orbán-Regierung nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie das Problem mit den hochdefizitären Öffentlichen als Teil ihrer allgemeinen Strategie zur Gesundung der Staatsfinanzen lösen wolle. Dabei führt an einem Abbau des noch an sozialistische Zeiten erinnernden aufgeblähten Personalstamms kein Weg vorbei. Zum Vergleich: Während im ähnlich bevölkerungsreichen, aber wirtschaftlich wesentlich höher entwickelten Österreich etwa 3.200 Personen bei den öffentlich-rechtlichen Medien angestellt sind, waren es in Ungarn vor der „Säuberung“ etwa 3.500.

Der Pressesprecher eines großen deutschen Investors in Ungarn kennt diese Überbeschäftigung aus eigener Erfahrung. „Wenn ich einem privaten Fernsehsender ein Interview gebe, werde ich von nur zwei Personen besucht. Sie kommen im eigenen Auto und sind in der Regel nicht einmal bei dem betreffenden Sender, sondern bei einer externen Produktionsfirma angestellt. Gebe ich dagegen einem staatlichen Fernsehsender ein Interview, kommen stets fünf bis sechs Leute. In Firmenwagen dieses Senders und als dessen Angestellte. Der Fernsehzuschauer merkt den unterschiedlichen Aufwand wahrscheinlich kaum, der Steuerzahler aber ganz sicher“, beschreibt er seine Beobachtungen.

Für den Kommunikationsprofi liegt die Konsequenz auf der Hand: „Es ist klar, daß dieser Produktivitätsunterschied auf Dauer nicht beizubehalten ist. Ein kostenbewußter Staat kann sich das nicht erlauben.“

Dazu muß berücksichtigt werden, daß sich der vergleichsweise hohe Aufwand der staatlichen Fernsehkanäle keinesfalls in hohen Einschaltquoten widerspiegelt. Seit Jahren liegen die drei staatlichen Fernsehsender M1, M2 und Duna TV – selbst bei den Nachrichten – weit hinter den privaten Spitzenreitern TV2 und RTL Klub zurück. Der Reformstau bei den Öffentlichen in Sachen Qualität und Kosteneffizienz ist so offensichtlich, daß schon seit langem über Parteigrenzen hinweg ein Konsens besteht, daß hier etwas geschehen müsse. Unter den sozialistischen Regierungen geschah jedoch – teils aus Furcht, an diesem heißen Eisen zu rühren, teils aus Desinteresse – nichts. Es gab lediglich Jahr für Jahr Geldspritzen, um den teuren Sendebetrieb aufrechterhalten zu können.

Die seit über einem Jahr amtierende Fidesz-Regierung ließ jedoch von Anfang an keinen Zweifel daran, daß sie ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament auch dazu zu nutzen gedenke, die kranke Struktur der Öffentlichen grundlegend zu sanieren und die Sender aus ihrem Popularitätstal zu holen. In der Budapester Zeitung äußerte sich MTVA-Kommunikationsdirektor László Szabó zur Zukunftsvision: „Was wir brauchen, ist eine schlankere und schlagkräftigere Organisation, staatliche Medien also, deren Reporter und Kameramänner die ersten vor Ort sind und über deren aufrichtige Beiträge die Menschen am nächsten Tag in der Straßenbahn reden.“

Im Interesse einer besseren Effizienz wurden um Frühjahr rund 2.200 Stellen durchleuchtet. Im Endeffekt wurde daraufhin die Veränderung von 1.600 Arbeitsverträgen vorgeschlagen. Von 550 Arbeitnehmern, die in der neuen, flacheren Struktur nicht mehr benötigt werden, sollten sich die Sender ganz trennen. Nach anfänglichen Unstimmigkeiten mit den Gewerkschaften konnten sich schließlich Anfang August Arbeitnehmervertreter und MTVA auf einen tragfähigen Kompromiß verständigen. So wurde unter anderem ein Sozialplan aufgestellt und ein Hilfsfonds auf knapp eine Million Euro aufgestockt. Außerdem wurde aus sozialen Gründen die Entlassung von 25 Personen wieder rückgängig gemacht. Im Gegenzug versprachen die Gewerkschaftsvertreter von weiteren Protestaktionen abzusehen.

Trotz der offensichtlich notwendigen Veränderungen, zu denen auch ein Abbau überflüssigen Personals zählt, bemühte die Opposition sofort nach Bekanntwerden der Entlassungsabsicht unisono das Bild einer „politischen Säuberung“. Außerdem wurde behauptet, daß die Entlassungen „fachlich unbegründet“ seien. Über derartige Kritiken hinaus kamen von der Opposition bisher jedoch keine konstruktiven Vorschläge. Der Verdacht drängt sich auf, daß sie keine besseren Rezepte hat und sie lediglich darauf aus ist, aus der entstandenen Situation politisches Kapital zu schlagen.

Motivierend ist für sie, daß sie sich dabei – analog zur Diskussion um das Mediengesetz – des Applauses vieler westlicher, allen voran wieder einmal der deutschen Medien sicher sein kann, die ihrer Abneigung gegen die konsequent konservative Orbán-Regierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit gerne Luft machen. Dankbar und völlig unreflektiert übernahmen sie auch jetzt wieder sämtliche politischen Vorwürfe der Opposition sowie einiger Betroffener. Getragen von den Anti-Orbán-Ressentiments in den meisten deutschen Redaktionen formulierte der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, Michael Konken, in einer Pressemitteilung unter dem Titel „Ungarn schafft den kritischen Rundfunkjournalismus ab“ empört: „Es ist unerhört, daß die rechtsextreme ungarische Regierung und ihre Handlanger an der Spitze einiger Medien jetzt offenbar ihre Kritiker endgültig mundtot machen wollen.“

Die unprofessionellen Reaktionen seitens der deutschen Medien zeigen nicht zuletzt, daß die Redakteure aus dem Kommunikationsdebakel rund um das Mediengesetz zum Jahresanfang nichts gelernt haben. Auch damals ließen sie sich bereitwillig von der ungarischen Opposition für deren Öffentlichkeitarbeit einspannen. Unkritisch übernahmen sie unter anderem deren Grundthese, nämlich daß die Pressefreiheit in Ungarn aufgehört habe zu bestehen. Daß jedoch linksliberale Zeitungen, die selbiges in ihrer ersten Januarausgabe auf ihren ansonsten leeren Titelseiten behauptet haben, auch über ein halbes Jahr später noch genauso kritisch, wenn nicht sogar noch kritischer als vor Inkrafttreten des neuen Mediengesetzes berichten, wird den deutschen Zeitungslesern jetzt freilich unterschlagen.

Als ich im März in einer Talkshow auf Károly Vörös den damaligen Chefredakteur der größten linken Tageszeitung Népszabadság traf, fragte ich ihn, ob die Pressefreiheit tatsächlich abgeschafft worden sei und sich seine Kollegen nun tatsächlich fürchten würden, kritisch zu schreiben, wie von Vörös immer wieder beschworen. Trotz zweimaliger Nachfrage blieb Vörös ein Ja schuldig. Von einer selbstkritischen Bemerkung ganz zu schweigen. Als ich diese Frage zwei Monate später einem Redakteur seiner Zeitung erneut stellte, winkte dieser nur amüsiert ab und erzählte etwas von Marketing, natürlich nur off-the-record. Gut für die ungarischen linken Parteien und Medien, daß sie sich bei ihren Marketinganstrengungen noch immer voll auf die deutschen Medien verlassen können.

Jan Mainka lebt seit 1988 in Budapest und ist Chefredakteur der beiden fremdsprachigen Wochenzeitungen Budapester Zeitung und The Budapest Times.

www.budapester.hu

Foto: Protest: Symbolisch tragen die Mitarbeiter des staatlichen Rundfunks in Ungarn die Pressefreiheit zu Grabe (oben) – mediale Unterstützung erhalten sie aus ganz Europa, zum Beispiel von der deutschen Zeit (links)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen