© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Feuernächte und die Folgen
Gedenken an den Höhepunkt des Widerstandes der Südtiroler Freiheitskämpfer vor 50 Jahren
Matthias Bäkermann

In einem anderen deutschen Landstrich hätte es wohl kaum nach über vierzig Jahren Besatzungszeit eine derart breit getragene Widerstandsbewegung, geschweige denn so etwas wie „Feuernächte“, gegeben. Wie Eva Klotz, die Tochter des Südtiroler Freiheitskämpfers und führenden Mitglieds des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) Georg Klotz, in der besonders umfangreichen Jubiläumsausgabe des Tirolers (Ausgabe 59/2011) zusammenfaßt, hat diese Tradition des Widerstands gerade in Tirol seine Wurzeln in dem seit dem Mittelalter verankerten freien und politisch eigenberechtigten Bauerntum.

Gegen Einschneidungen ihrer Freiheitsrechte und Fremdbestimmung reagierten die Bewohner zwischen Kufstein und Salurner Klause deshalb schon immer besonders gereizt, sei es im anti-napoleonischem Aufstand 1809 oder auch der mit Tiroler Schützenbataillonen 1915 spontan gebildeten Landesverteidigung. Dieser freiwillige „Volkssturm“ stellte sich den 160.000 italienischen Soldaten erfolgreich entgegen, die nach dem Bündnisabfall Roms und der Kriegserklärung gegen Österreich-Ungarn die entblößte Südflanke bis nach Wien hätten durchstoßen können.

Es war die Ironie der Geschichte, daß 1919 ausgerechnet die Südtiroler unter italienische Hoheit gezwungen wurden, die spätestens mit dem Faschismus Mussolinis zur gewaltsamen Unterdrückung entartete. Die rücksichtslose Italienisierung Deutsch-Südtirols machte nicht einmal vor den Namen auf den Grabsteinen halt. Nach 1945 sahen die Sieger keine Veranlassung, ihren vorgeblichen Antifaschismus südlich des Brenners durchzusetzen. Es blieb den Männern um Sepp Kerschbaumer, Luis Amplatz oder Franz Höfler vorbehalten, den als Machtdemonstration errichteten italienischen Denkmälern, die wie in Waidbruck „dem Genius des Faschismus“ huldigten, mit Sprengstoff den Garaus zu machen.

Als 1961 in Rom Gesetzentwürfe reifen, die letztlich auf eine Ausbürgerung und Vertreibung „aller sich der Republik gegenüber untreu verhaltenden italienischen Staatsbürger“ (sprich: alle auf ihre Volkstums- und Freiheitsrechte pochenden Südtiroler) zielen, setzen die 200 BAS-Widerstandskämpfer auf Gewalt. In der „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 1961 sprengen sie knapp vierzig Hochspannungsmasten und unterbrechen die Stromlieferung zur Bozner Industriezone und den oberitalienischen Wirtschaftszentren. Diese bewußt gegen die Infrastruktur und nicht gegen Menschen gerichtete Gewalt soll die internationale Aufmerksamkeit auf das Land an der Etsch lenken (JF 24/11).

In der Folge reagiert der italienische Staat mit großer Härte: Willkürliche Verhaftungen, Folterungen und Agenten mit Mordaufträgen führen in eine Gewaltspirale, in der schließlich auch die BAS-Kämpfer vor Todesopfern unter den Carabinieri nicht mehr zurückschrecken. Die Fronten verhärten sich. Durch das Engagement Österreichs wird der Konflikt schließlich vor dem UN-Sicherheitsrat internationalisiert, was viele als maßgeblichen Grund für das Einlenken Roms deuten, das bis Anfang der neunziger Jahre seiner nördlichsten Provinz zunehmend mehr Autonomie gewährt.

Der Bozener Journalist Hans Karl Peterlini zeichnet im von ihm herausgegebenen Prachtband die fünfzig Jahre zwischen 1961 bis 2011 reich illustriert nach. Ausführliche Schilderungen der Folgen von Unterdrückung, Gewalt und Gegengewalt anhand vieler Augenzeugen rücken die Geschehnisse wie einen spät aufgerollten Kriminalfall wieder ins Bewußtsein. Wie brisant diese immer noch sind, beweist nicht zuletzt der Umstand, daß einige BAS-Aktivisten bis heute nicht in ihre Südtiroler Heimat reisen können, ohne die Verhaftung zu riskieren.

Hans Karl Peterlini: Feuernacht. Südtirols Bombenjahre. Hintergründe. Schicksale. Bewertungen 1961–2011. Edition Raetia, Bozen 2011, gebunden, 509 Seiten, Abbildungen, 42 Euro

Kontakt: Kameradschaft der ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfer, Postfach 63 00 62, 90228 Nürnberg landeseinheit@gmx.net

Foto: Festumzug zum 90. Jahrestag der Teilung Tirols, Innsbruck 2009: Jahrhundertealte Tradition des Widerstands gegen die Unfreiheit

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