© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Der dunkle Chesterton
Kriminalgeschichten mit Horne Fisher
Georg Alois Oblinger

Am Morgen seiner Heirat mit Francis Blogg im Jahr 1901 kaufte sich Gilbert Keith Chesterton (1874–1936) eine Pistole, um seine künftige Gattin zu beschützen. Diese Anekdote läßt uns etwas von Chestertons Liebe zum theatralischen Auftritt erahnen, erklärt aber auch, warum Chesterton vor allem an der Kriminalliteratur seine Freude fand. Schon 1917 schrieb er in seiner „Verteidigung des Unsinns und anderer mißachteter Dinge“ ein Kapitel zur „Verteidigung von Kriminalromanen“. Dieser erinnere uns daran, „daß wir im gerüsteten Lager leben und Krieg führen mit einer chaotischen Welt und daß die Verbrecher, die Kinder des Chaos, nichts anderes sind als die Verräter in unseren eigenen Mauern.“

So hat Chesterton unsterbliche Detektiv-Persönlichkeiten geschaffen wie den katholischen Priester Father Brown, den pensionierten Richter Basil Grant oder den geheimnisvollen Horne Fisher. Letzterer ist Chestertons sperrigster Amateurdetektiv. Ganz untypisch für einen Detektiv ermittelt Fisher in jeder der acht Geschichten den Täter, versucht dann allerdings, diesen vor einer Verurteilung zu verschonen und beteiligt sich mehrfach aktiv am Vertuschen des wahren Tathergangs. Durch sein Tun will Fisher offensichtlich größeres politisches Unheil verhindern.

Kann das gelegentliche Schweigen von Father Brown noch mit dem Verweis auf das Beichtgeheimnis erklärt werden, ist dies bei Horne Fisher nicht mehr möglich. Und doch wird deutlich, daß es höhere Ziele gibt als nur das private Interesse. Hier ist es das Wohl der Nation. Schon 1917 folgte der „Verteidigung von Kriminalromanen“ im nächsten Kapitel die „Verteidigung des Patriotismus“. Daß es allerdings noch ein höheres Gut als die politische Wahrheit gibt, nämlich die religiöse Wahrheit, wird in den Geschichten um Horne Fisher erst im allerletzten Satz erwähnt. Dieser ist dann wieder ein typischer Chesterton! Bis dahin allerdings bleiben die Geschichten eher düster und mysteriös.

Wer „Der Mann, der zuviel wußte“ liest, lernt die politische, aber auch die dunkle Seite Chestertons kennen. Er wird dann erahnen können, warum ein so ganz anderer Denker wie Franz Kafka sich von Chesterton angezogen fühlte.

Gilbert Keith Chesterton: Der Mann, der zuviel wußte. Kriminalgeschichten. Manesse Verlag, Zürich 2011, gebunden, 350 Seiten, 19,95 Euro

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