© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Freibeuter wildern im grünen Milieu
Berlin II: Die Piratenpartei kratzt eine Woche vor der Abgeordnetenhauswahl an der Fünf-Prozent-Hürde
Lion Edler

In Berlin sind die Piraten los. Gut eine Woche vor den Wahlen bahnt sich eine Sensation an, denn die Piratenpartei schickt sich laut Umfragen an, ins Abgeordnetenhaus einzuziehen. Derzeit liegt die Partei bei bis zu fünf Prozent und damit deutlich vor der FDP, wie dieser Tage immer wieder schadenfroh angemerkt wurde. Die Zeit des Belächelns sind für die Piraten, die besonders die Themen Netzpolitik und politische Transparenz in den Mittelpunkt stellen, damit wohl vorbei.

Zumal es der Partei zunehmend gelingt, nicht mehr als reine Internetpartei wahrgenommen zu werden. Bei der Berlin-Wahl lautet eine der Hauptforderungen der Piraten, Sitzungen und Verträge des Senats generell der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Durch eine kommunale Abgabe soll zudem der S-Bahn-Verkehr für alle Berliner kostenlos werden. Weiterhin setzt sich die Partei für einen Mindestlohn von zehn Euro ein, der als Übergang zu einem „bedingungslosen Grundeinkommen“ eingesetzt werden soll. In der Suchtpolitik wollen die Piraten an Schulen „Rauschkunde-Unterricht“ einführen, um damit „Jugendlichen Werkzeuge zur Selbstkontrolle aufzuzeigen“. Bei Regelungen zur „geringen Menge“ von Cannabis-Besitz sollen Ausnahmeregelungen abgeschafft werden, um die Cannabis-Besitzer der Strafverfolgung zu entziehen. Keine Frage, mit solchen Aussagen positioniert sich die Partei klar links: ein Video auf der Netzseite der Berliner Piraten zeigt kiffende Polizisten und versichert, daß Kinder „auch mit zwei Vätern oder zwei Müttern“ behütet aufwachsen würden.

Es verwundert daher nicht, daß die Partei bei der Bundestagswahl 2009 von 13 Prozent der männlichen Erstwähler gewählt wurde. „Fragt mal eure Kinder, warum sie Piraten wählen“, heißt es dazu ironisch auf einem Berliner Wahlplakat. Dazu kommen Wähler, die aus Protest die Piraten als „kleineres Übel“ wählen und sich so frischen Wind gegen die etablierten Parteien erhoffen. Die Piraten scheinen das nur zu gut zu wissen. Auf einem der Plakate heißt es provokativ: „Warum häng ich hier eigentlich, ihr geht ja eh nicht wählen.“ Andere Plakate fordern „Religion privatisieren jetzt“ und erklären im Stil von Facebook: „Piratenpartei – 847.870 Wählern gefällt das.“

Berliner Spitzenkandidat ist der Industrieelektroniker Andreas Baum. Der 32jährige zeigt sich „auch ein bißchen überrascht“ über den Höhenflug der Piraten, auch wenn der Einzug in ein Landesparlament freilich das Ziel gewesen sei. Sollten Baum und seine Mit-Freibeuter scheitern, dann vielleicht am ehesten wegen Lücken in der politischen Programmatik: Als er kürzlich von einem Fernsehmoderator nach seinen Positionen zur Berliner Wirtschaft gefragt wurde, mußte Baum passen. Dazu habe die Partei noch keine Meinung, gab Baum unumwunden zu. Die Mitglieder müßten sich erst ins Thema einlesen.

Nach Baums Überzeugung hat zu dem sich abzeichnenden Erfolg vor allem die Begeisterungsfähigkeit der eigenen Anhänger beigetragen. Um nicht nur in den Umfragen, sondern auch am Wahltag über fünf Prozent zu kommen, müßten die Piraten dafür sorgen, „daß nicht nur wir Kandidaten mit den Wählern reden, sondern daß auch möglichst viele unserer Sympathisanten das tun“, erläuterte Baum der Berliner Morgenpost die Strategie. Die Kandidaten allein könnten das nicht schaffen. Und die Partei kann tatsächlich auf eine recht beachtliche Mannschaft bauen. In Berlin hat sie rund 1.000 meist äußerst engagierte Mitglieder, Tendenz steigend, deutschlandweit sind es über 10.000.

Besonders die Grünen dürfte das beunruhigen, denn gerade bei deren Wählerschaft hat die Partei große Sympathien. „Die Piraten bilden so eine Art Protestventil. Und sie gelten als noch unverbrauchte Leute“, sagte dazu der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer der Nachrichtenagentur dpa. Daß der Berliner Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann davor warnt, jede Stimme für die Piraten sei verschwendet, wirkt da fast schon hilflos.

Foto: Plakat der Piratenpartei: Äußerst engagierte Mitglieder

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