© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Erschöpfte Supermacht
USA: Zehn Jahre nach dem 11. September offenbart sich eine Nation in Selbstzweifeln
Ralph Schöllhammer

Es genügt ein einziges Wort, um die Stimmung in den USA am zehnten Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 zu beschreiben: Müdigkeit. Für viele Amerikaner erscheint 9/11 als eine Last der Vergangenheit, die es endlich abzuschütteln gilt, als eine Hypothek auf der kollektiven Psyche der Nation. Während Admiral Yamamoto nach Pearl Harbour befürchtete, „einen schlafenden Riesen“ geweckt zu haben, scheinen die USA zehn Jahre nach den Angriffen in einen immer tieferen Schlaf zu sinken. Nirgends zeigt sich dies besser als am Ort des Verbrechens selbst: Bis heute klafft ein gewaltiges Loch inmitten von Manhattan und ist damit ein besseres Denkmal für den Zustand der Vereinigten Staaten als alles, was in den kommenden Jahren folgen mag.

Das letzte Jahrzehnt offenbarte eine Nation, welche von tiefen Selbstzweifeln geplagt ist und zusehends pessimistischer wird. Selbst während der Weltwirtschaftskrise in den zwanziger und dreißiger Jahren wirkten die USA nicht so gebrochen: Das Empire State Building – bis 1972 das höchste Gebäude der Welt – wurde innerhalb von zwei Jahren zwischen 1929 und 1931 errichtet. Trotz der Schwere der Wirtschaftskrise war das amerikanische Selbstvertrauen und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ungebrochen.

Von dieser Mentalität ist in den USA momentan nicht viel zu spüren. Im Gegenteil, selbst die Wahl von Präsident Obama war geprägt von dem Wunsch, in eine Welt vor dem 11. September zurückzukehren. Die Kriege im Irak und Afghanistan sollen beendet, aber nicht mehr notwendigerweise gewonnen werden. Selbst eine Rückkehr der Taliban ist auf den Meinungsseiten der großen US-Zeitungen mittlerweile kein Tabuthema mehr.

Die laut Umfragen vielversprechendsten Präsidentschaftskandidaten zeichnen sich alle durch eine mehr oder weniger isolationistische Außenpolitik aus. Die Rolle der USA als globale Ordnungsmacht wird zusehends unpopulär, und während sich ein wachsender Teil der Bevölkerung einen Sozialstaat nach europäischem Vorbild wünscht, schwindet das Interesse am Rest der Welt. Nur gegen großen innenpolitischen Widerstand konnte Präsident Obama eine Beteiligung an dem Nato-Einsatz in Libyen durchsetzen, und wie sich bereits jetzt abzeichnet, haben die USA kein Interesse daran, im post-revolutionären Tripolis eine tragende Rolle zu spielen.

Der radikale Islam als Bedrohung wird weitgehend verdrängt oder kleingeredet beziehungsweise als Ergebnis fanatischer Einzeltäter betrachtet. Die Befürchtungen vieler, daß sich die Vereinigten Staaten als Reaktion auf den islamistischen Terror in einen Polizeistaat verwandeln würden, haben sich als gegenstandslos erwiesen.

 Zwar wurden unter einem gewaltigen finanziellen und bürokratischen Aufwand neue Sicherheitsbehörden geschaffen, doch eine gezielte Überwachung bestimmter religiöser oder ethnischer Gruppen findet nicht statt. Genau diese Politik gerät in der aktuellen Debatte zunehmend unter Zugzwang. Politiker wie der Kongreßabgeordnete Peter King oder Herman Cain kritisieren die Zurückhaltung der aktuellen Regierung, den islamistischen Terrorismus beim Namen zu nennen und Gruppen, bei welchen ein höheres Risiko besteht, gezielter im Auge zu behalten.

Besonders heftige Reaktionen wurden durch ein Strategiepapier verursacht, welches das Weiße Haus Anfang August veröffentlichte. In dem Papier, welches Methoden zur Verhinderung von Terroranschlägen behandelt, wird die ideologisch-politische Komponente des islamistischen Terrorismus weitgehend ausgeblendet. In den Augen der Kritiker kommt dies einer Kapitulation vor jenen Islamisten gleich, welche zwar auf Gewalt verzichten, aber die politischen Ziele der Terroristen teilen.

Trotz der seit 2001 weltweit durchgeführten 23.000 islamistischen Terroranschläge weigern sich weite Teile des politischen Establishments, die ideologische Komponente des Konfliktes anzuerkennen. Der islamistische Terrorismus wird als sozioökonomisches Phänomen begriffen, nicht jedoch als ideologisches. Anders als noch zu Zeiten des Kalten Krieges zeigen die USA nur eine geringe Bereitschaft, einen ideologischen Krieg auszufechten. Auch darin spiegelt sich eine kulturelle Erschöpfung wider: Nachdem man mit Nationalsozialismus und Kommunismus zwei weltanschauliche Gegner besiegt hatte, herrscht eine gewisse Müdigkeit, nun auch noch den Nahen Osten von der amerikanischen Lebensart zu überzeugen. Selbst konservative Politiker argumentieren zunehmend für ein reduziertes Engagement der Vereinigten Staaten in globalen Angelegenheiten.

Trotz einiger militärischer Erfolge im Irak und in Afghanistan sind die USA heute schwächer als noch vor zehn Jahren. Die USA beendeten den Zweiten Weltkrieg als reichste Nation des Planeten, die Kriege im Nahen Osten werden sie als die am höchsten verschuldete Nation der Welt beenden. Die Frage für die Präsidentschaftswahlen 2012 wird sein, ob es Präsident Obama oder seinem Gegner gelingen wird, ein glaubhaftes Programm für die Revitalisierung der Nation zu präsentieren.

Foto: Blick auf Ground Zero: Die Gedenkstätte für die Opfer der Anschläge wird in Teilen am 9. September eröffnet

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen