© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Marionetten des Westens
Libyen II: Der Westen und Moskau haben den Übergangsrat als legitimen Vertreter des Staates anerkannt, doch die Frage wofür er steht, bleibt vielfach im dunkeln
Sven Foligowski

Die Welt hat auf Libyen gesetzt. Und die Libyer haben ihren Mut gezeigt und ihren Traum verwirklicht“, verkündete der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrates, Mustafa Muhammad Abd al-Dschalil, auf der Libyen-Konferenz vergangenen Donnerstag in Paris. Währenddessen brachten sich Tausende Rebellen vor der letzten Gaddafi-Hochburg, der Wüstenstadt Bani Walid, in Stellung, um diese im Falle von erfolglosen Verhandlungen zu stürmen. Noch immer gibt es zahlreiche kleinere Stämme, welche sich loyal zum ehemaligen Machthaber bekennen.

Insgesamt sechs Monate hatte es gedauert, bis die blutige Revolution in der Hauptstadt Tripolis angekommen war. Relativ schnell, bereits am 27. Februar, war ein nationaler Übergangsrat mit 31 Mitgliedern in der östlichen Stadt Bengasi gegründet worden. Er dient als Gremium, das alle Aufständischen aus den unterschiedlichen Landesteilen vereinigen soll. Problematisch ist jedoch, daß viele westliche Rebellen sich keinem östlichen Übergangsrat unterstellen wollen. Sie wünschen sich hingegen einen westlichen Übergangsrat aus Tripolis. Ein Problem der dezentralen Organisation der Rebellen, welches auch die Lage in der libyschen Hauptstadt widerspiegelt.

Verschiedenfarbige Graffiti, prägen das Stadtbild von Tripolis. Sie stammen nicht etwa aus der Ära Gaddafis sondern sind Zeichen der Rebellen. Tripolis ist aufgeteilt. Viele der rivalisierenden Rebellengruppen beanspruchen mittlerweile ganze Stadtteile für sich. In der libyschen Hauptstadt herrscht derzeit ein Machtvakuum. Dem libyschen Übergangsrat fällt es unterdessen schwer, einen geeigneten Kommandeur des Tripoliser Militärrates zu finden. Gegen den zuvor ernannten Abdel Hakim Belhadj, ehemals Führer der Libyschen Islamistischen Kampfgruppe, kam es zu zahlreichen Protestesten einzelner Rebellengruppen, die eine islamische Unterwanderung der Revolution fürchten. „Dieser Mann ist eine Kreation der Katharen und deren Geld. Mit ihm wolle eine Terrorzelle aus dem Emirat in Libyen den islamischen Extremismus verbreiten“, heißt es von Seiten der Rebellen. „Er kommandiert niemanden!“

Es wird eine große Herausforderung, allen Stimmen der Libyer Gehör zu verschaffen, um eine Demokratie zu errichten. Doch ein Sprecher des Übergangsrates erklärte inzwischen, man wolle bereits 30 Tage nach dem Sieg über das Gaddafi-Regime eine Übergangsregierung ernennen, die eine neue Verfassung ausarbeiten soll. In acht Monaten sollten dann Wahlen folgen. Der nationale Übergangsrat Libyens hat sich Großes vorgenommen. Er ist jedoch ein Rat, von dem nur wenig bekannt ist. Lediglich 13 Namen wurden bisher veröffentlicht, die restlichen 27 werden immer noch geheimgehalten. Aus Sicherheitsgründen, wie der Rat verlauten ließ.

Vorsitzender des Exekutivrates ist der Politikwissenschaftler und Ökonom, Mahmoud Jibril. Der ehemalige Leiter des Nationalen Ausschusses für Wirtschaftliche Entwicklung, der zuvor viele Jahre in Pittsburgh gelebt hatte, pflegt gute Kontakte zu diversen amerikanischen Regierungsinstitutionen. Als Zuständiger für auswärtige Angelegenheiten wirbt er unter anderem für die offizielle Anerkennung des nationalen Übergangrates.

Repräsentant des Übergangrates ist der ehemalige Justizminister al-Dschalil. Er gilt als konservativ-frommer Muslim und als ein Rebell der ersten Stunde. Schon während seiner Amtszeit hatte er vor allem durch Entscheidungen gegen die offizielle Doktrin des Regimes von sich reden gemacht.

Zum späteren politischen Verhängnis für den Übergangsrat könnte die Rolle des Khalifa Haftar werden. Als Oberst der libyschen nationalen Befreiungsarmee war Haftar maßgeblich am Sturz des Gaddafi-Regimes beteiligt. Er selbst wird jedoch oftmals aufgrund seinen Verbindungen zur CIA als Marionette Amerikas bezeichnet. Anfang März, pünktlich zur Revolution, wurde Haftar aus den USA eingeflogen und stellte sich bereits Tage darauf als neuer Militärchef des libyschen Übergangsrates vor, was zu heftigen Konflikten mit Teilen des Übergangrates führte. Der ehemalige Innenminister, Abdel Junis, der diesen Posten zu der Zeit innehatte, wurde kurz darauf, am 28. Juli, von Unbekannten ermordet.

Ebenfalls fragwürdig ist die Rolle des Mussa Kussa, ehemaliger Chef des Auslandsgeheimdienstes und Außenminister. Er galt als eine der einflußreichsten politischen Persönlichkeiten Libyens. Berichten zufolge soll er seit Oktober 2001 ebenfalls für die CIA und den MI6 gearbeitet haben und während der Revolution bei der Findung von Bombenzielen geholfen haben.

Die Geheimhaltung aller Mitglieder angesichts solcher Biographien scheint taktisch gut durchdacht, zumal sie die Aussagen Gaddafis, der die Aufstände als einen durch den Westen initiierten Bürgerkrieg bezeichnete, in ein neues Licht  stellen. Neue Informationen, die solches belegen würden, könnten das drohende Machtvakuum verstärken und islamischen Extremisten, die sich ebenfalls unter den Rebellen befinden, Auftrieb bescheren. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Lage in Libyen entwickelt und ob es dem Übergangsrat gelingt, eine Demokratie zu errichten, bevor das Land im Chaos versinkt.

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