© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Infame Täuschung der Öffentlichkeit
Euro-Krise: Die Rettungsmilliarden sind Hilfspakete für die Banken und nicht für Griechenland
Wolfgang Philipp

Vorige Woche hat das Bundeskabinett die Ausweitung des Euro-Rettungsfonds EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) gebilligt. Die deutschen Bürgschaften für überschuldete Euro-Staaten sollen damit auf  bis zu 211 Milliarden Euro steigen. Gleichzeitig wurden die Aufgaben des Rettungsfonds erweitert. Künftig kann die EFSF auch Staatsanleihen bankrottreifer Euro-Staaten aufkaufen und direkte Darlehen an Euro-Länder zur Rekapitalisierung ihrer von Insolvenz bedrohten Banken gewähren.

Letzteres könnte bald akut werden, sollten sich Befürchtungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) bewahrheiten, der vor einem 200-Milliarden-Kapitalloch bei europäischen Banken gewarnt hat. Doch viele Banken hängen schon jetzt am Tropf des Staates (bzw. Steuerzahlers) – nicht nur wegen der Finanzkrise 2008, sondern auch wegen der 2010 offen ausgebrochenen Euro-Krise. Denn eine Durchsicht des von den Regierungschefs in Brüssel beschlossenen „zweiten Rettungspaketes“ für Griechenland zeigt, daß nicht Griechenland, sondern Banken die Profiteure sind.

Ihr Bestand an griechischen Staatsanleihen belief sich europaweit auf rund 150 Milliarden Euro. Solche Anleihen werden je nach Fälligkeit zu Kursen um die 50 Prozent des Nennwertes gehandelt. Die Banken haben also schon rund die Hälfte des Wertes ihrer einst zu 100 Prozent gekauften griechischen Staatsanleihen verloren, also rund 75 Milliarden Euro. Sie müssen diese Anleihen über kurz oder lang mit etwa 50 Prozent abschreiben. Allein angemessen wäre es, diese schon eingetretenen Verluste der Banken auch stehenzulassen. Einen insolventen Schuldner kann man nicht gesundbeten.

Was aber hat man zusammen mit den Banken in Brüssel ausgetüftelt? Die Banken erhalten durch Umtausch in Höhe von 79 Prozent neue, länger laufende und mit 3,5 Prozent niedriger als früher verzinsliche griechische Staatsanleihen, die von dem Euro-Krisenfonds EFSF unter Rückbürgschaft der Euro-Staaten garantiert werden. Auf diese Weise erhalten die Banken, die schon rund 50 Prozent verloren haben, eine Garantie, daß sie nur 21 Prozent verlieren.

Weitere rund 29 Prozent, die sie bereits verloren haben, erhalten sie aufgrund der Brüsseler Beschlüsse zurück, sie stellen sich also entscheidend besser als ohne diese Beschlüsse. Nur 21 Prozent müssen sie abschreiben. Soweit sie mehr abgeschrieben haben, können sie diese Abschreibungen wieder rückgängig machen und ihre Bilanzen verbessern! Auch die in den vergangenen Jahren von Griechenland bezogenen hohen Zinsen dürfen die Banken behalten.

Auch die noch laufenden Anleihen werden weiterhin hoch verzinst. Mit der „Abschreibung“ von 21 Prozent wird allenfalls ein überhöhter Zinsgewinn teilweise wieder rückgängig gemacht. Es ist also unwahr, wenn behauptet wird, die Banken hätten sich durch Inkaufnahme von Vermögenseinbußen, die längst eingetreten sind, an der Rettung Griechenlands beteiligt oder gar „Opfer“ gebracht.

Für Griechenland kommt nicht viel dabei heraus. Wie die FAZ am 23. Juli detailliert darlegte, vermindert sich die griechische Staatsschuld von rund 350 Milliarden Euro nur um etwa 26 Milliarden Euro, ein Betrag, der bei weitem nicht ausreichen kann, die bestehende Überschuldung zu beseitigen. Die Senkung des Zinsfußes auf 3,5 Prozent kann sich in einer das Gesamtprojekt gefährdenden Weise auswirken: Das genannte „zweite Rettungspaket“ sieht vor, daß Griechenland über das erste 110 Milliarden Euro umfassende Programm hinaus weitere 109 Milliarden Euro an öffentlichen Darlehen erhält. Diese sollen, wie auch schon bisher, in Krediten der EFSF und des Internationalen Währungsfonds bestehen. Die EFSF erhält dafür 3,5 Prozent Zinsen.

Die EFSF muß sich aber ihrerseits durch Aufnahme von Darlehen am Kapitalmarkt refinanzieren. Sie selbst ist nicht kreditwürdig, ihr Rating hängt vom Rating derjenigen Staaten ab, die sich für diese Kredite gegenüber dem Publikum, welches EFSF-Anleihen kauft, verbürgen. Die EFSF kann am Markt nur dann Kredite aufnehmen, wenn sie selbst das beste Rating AAA aufweist. Das Rating AAA haben von den 17 Euro-Staaten, welche Aktionäre der EFSF sind, nur noch sechs, nämlich Deutschland, Frankreich, Niederlande, Finnland, Österreich und Luxemburg mit zusammen rund 58 Prozent.

Das Mißtrauen in die EFSF wird wachsen, denn ein „Bürge“ nach dem anderen verabschiedet sich (Griechenland, Irland, Portugal, möglicherweise bald Italien und Spanien). An dem Bürgschaftsvolumen sind Deutschland mit 27,1 Prozent, Spanien mit 11,9 Prozent, Frankreich mit 20,3 Prozent und Italien mit 17,9 Prozent beteiligt. Es gibt bisher keine gesamtschuldnerische Haftung, jeder haftet nur für seine Quote. Zwar haften bis zu einer gewissen Höhe die einzelnen Staaten auch für als Bürgen wegfallende Staaten, doch das hat Grenzen. Die Gläubiger müssen also fürchten, mit Forderungen auszufallen, wenn die EFSF mangels Rückzahlung der von ihr an Griechenland gegebenen Darlehen nicht mehr zahlen kann.

Dabei spielt die Senkung des Zinsfußes der von der EFSF hinauszulegenden Darlehen auf 3,5 Prozent eine wichtige Rolle: Es kann sich ergeben, daß der Markt von der EFSF für deren Refinanzierung im Hinblick auf ihre sich laufend verschlechternde Bonität Zinsen verlangt, die höher liegen. Dann entstehen der EFSF Verluste. Wenn es um die „Rettung Griechenlands“ gegangen wäre, hätte man eine ganz andere Lösung wählen müssen: Das Land hätte offiziell seine Insolvenz erklären und die Forderungen der privaten Gläubiger beispielsweise um 50 Prozent kürzen und außerdem die Zinsen herabsetzen müssen. Dann wäre eine echte Entschuldung eingetreten.

Griechenland wäre, insbesondere wenn es aus dem Euro ausgetreten wäre und die Drachme wieder eingeführt hätte, zu retten gewesen. Was jetzt gemacht wird, kann diesen Effekt nicht haben, sondern erweist sich einmal mehr als ein kompliziertes und schwer durchschaubares Konstrukt zur Rettung der Großbanken, die ohnehin Europa beherrschen (JF 20/11). Alles Gerede, es gehe „um den Euro“ oder um Griechenland, Irland oder Portugal ist nicht ehrlich. In Wirklichkeit geht es nur darum, die Banken vor Schaden zu bewahren und möglichst zu begünstigen: Sie befehlen, weil sie vom Staate als „systemrelevant“ erklärt worden sind.

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