© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Hunger nach Wissen
Jahrbuch für Journalisten 2011: So verändern Wikileaks, Facebook und die Datenfl ut die Medienwelt
Rolf Dressler

Bevor ich Journalist werde, werde ich schwanger.“ Dieser für die Medienzunft wenig schmeichelhafte Seitenhieb ist einmal dem pressegewandten Fußballtrainer Felix Magath über die Lippen gerutscht. Deutlich hintersinniger und hörbar aus Erfahrung sprechend befand unterdessen der lebensklug-gewitzte Ur-Schwabe Manfred Rommel: „Das größte Problem der Politik und der Medien ist, daß man auch noch dem letzten Querulanten einredet, er sei das Volk.“

Gleichwohl sind Journalisten, die sogenannten Macher des Mediengewerbes, durchaus nicht jedwedem Selbstzweifel an ihrem Tun und Treiben entrückt. Mahnende Kritiker der eigenen Zunft melden sich zum Beispiel auch in dem aktuellen „Jahrbuch für Journalisten 2011“ zu Wort. Es ist alles andere als ein sprödes Artikelsammelsurium von Medienprofis für Medienprofis.

Denn was darin aufgeschrieben wurde, kann Mediennutzern – Zuschauern, Hörern und Lesern der gedruckten Presse – zur anregenden Lektüre füglich anempfohlen werden. Zwar mögen einige einwenden, daß zu diesem schillernden Themengegenstand eigentlich doch längst schon alles Wesentliche gesagt sei. Wahr daran ist sicherlich, daß der journalistische Berufsstand sehr wohl auch aus den eigenen Reihen sein Fett wegbekommt – und das im gewogenen Mittel zu Recht, was sich belegen läßt.

Es verheißt gewiß nichts Gutes, wenn immer mehr Journalisten des Massenmediengeschäfts zu bloßen „Erfüllungsgehilfen und Content-Akkordarbeitern“ mutieren, die drangvoll kurzatmig für möglichst viele Zielgruppen im Publikum möglichst viel flüchtigen Stoff produzieren. Rund um die Uhr.

Dennoch muß man für die Zukunft des Berufsstandes nicht zwingend genauso schwarzsehen wie Tom Schimmeck, einst stramm linksalternativer Mitbegründer der öko-grün-roten Berliner taz und heute freier Publizist und Buchautor (jüngster beziehungsreicher Titel: „Am besten nichts Neues. Medien, Macht und Meinungsmache“). Zu denken aber gibt, was der US-Amerikaner John Naisbitt schon vor Jahren nüchtern-klar so beschrieb: „Wir ertrinken in Informationen, doch wir hungern nach Wissen.“

Oder anders gesagt: Die horrende Datenflut schädigt unser Urteilsvermögen. Merklich-unmerklich werden wir zu unkonzentrierten, oberflächlichen Infoholikern, nehmen Bilder und Texte allenfalls bröckchenhaft wahr, so daß schließlich überhaupt nur noch dröhnend-aggressive Politpropaganda und Werbebotschaften durch die Barrieren einer Kultur dringen, die in kleinste Nischen zerfällt.

Davor  warnte schon frühzeitig auch der New Yorker Rundfunk- und Zeitungsjournalist David Shenk. Auch Naisbitt und Shenk ahnten freilich noch wenig von der inzwischen grassierenden, offenbar uferlosen Internetgläubigkeit, die den sogenannten modernen Menschen vor sich hertreibt auf der Jagd von einem Klick zum nächsten und zum wieder nächsten; von dem Ausmaß bedenken- und gedankenloser Selbstentblößung und -entblödung vor jedermanns Augen und Ohren „im Netz“; von der freiwilligen, zumeist naiv-fahrlässigen Preisgabe der Privatheit an die anonyme, gigantisch molochartige „Internetgemeinde“ da draußen.

Eben diese heute gängige „Tyrannei der Intimität“ hatte neben anderen klugen Beobachtern auch der amerikanische Soziologe Richard Sennett punktgenau vorausgesagt – in seinem bemerkenswerten Buch „The Fall of Public Man“. Und er meinte damit speziell das Internet, in dem „eine exhibitionistische Vertrauensseligkeit sich zu Hause fühlt“.

Im „Journalisten-Jahrbuch 2011“ erinnert Ulrich Greiner, Kulturreporter der Wochenzeitung Die Zeit, aus gutem Grund an Sennetts prophetische Sicht der Mediendinge. Und er fügt treffend hinzu: Der kultivierte Mensch wisse in der Regel genau, welche Worte er unter welchen Umständen und bei welchen Alltagsgelegenheiten zu wählen habe. In den eigenen vier Wänden spreche er tunlichst anders als im Büro, am Stammtisch anders als in der Fachkonferenz.

Das aber habe „mit mangelnder Aufrichtigkeit nichts zu tun, sondern mit jenen Wechselseitigkeiten, mit jener Interdependenz, die entwickelte Kulturen immer ausgezeichnet hat“.

Nur Kinder und Narren, schreibt Greiner, plappern überall dasselbe. Alle anderen aber sollten wissen, daß die differenzierte Gesellschaft ein differenziertes Verhalten von jedermann erfordert: „Als Vater muß ich anders sprechen denn als Vorgesetzter und wieder anders als Freund, als Geschäftspartner, als Zeuge, als Kontrahent.“

Doch leider: Bei wem verfangen und wen in der Welt der Menge der Medienmacher regen solche Worte zu selbstkritischer Betrachtung und Bestandsaufnahme an? Noch dazu in den wilden Zeiten der Initiatoren von Wikileaks, die in den Augen nicht nur des Journalisten Ulrich Greiner Kindern gleichen, die am Küchentisch Aufgeschnapptes unter die Nachbarn tragen und sich an dem Unheil, das sie damit anrichten, auch noch ergötzen?

Es ist müßig, wie der große Publizist Wolf Schneider darüber nachzusinnen, ob unsere Urahnen sich wohl je zum Homo sapiens entwickelt hätten, wären sie in Afrikas Savannen einem Dauerbeschuß von RTL, Sat1, Prosieben und Co. ausgesetzt gewesen. Als um so tröstlicher erscheint aber, welches mehrstimmige Lob der junggebliebenen, noch immer in hohem Maße glaubwürdigen guten alten Zeitung von berufenen Federn im „Journalisten-Jahrbuch 2011“ zuteil wird: Zeitungen, nicht die Quasselbuden namens Talkshow, seien buchstäblich „Lebensmittel“, gäben den Menschen praktische Handlungshilfen für den persönlichen Alltag. Denn: Nur beim Lesen entwickele man eigene Bilder und Gedanken und damit selbständiges Tun. Na, bitte, geht doch ...!

 

Wikileaks: Julian Assange bereut nichts

Wikileaks-Kritiker werfen der Netzseite vor, Tausende von Original-Dateien versehentlich veröffentlicht zu haben. Die Organisation weist die Vorwürfe zurück und beschuldigt einen britischen Journalisten, das dazugehörige Paßwort verraten zu haben . Im Zusammenhang mit diesem „Cablegate“ (oder „Guardiangate“) meldete sich am Dienstag Julian Assange auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin zu Wort (siehe Foto oben). Per Videobotschaft teilte er mit: „Es gibt nichts, was wir hätten anders machen können.“ Von allen „Medienpartnern“ werde er nur mit der New York Times und dem Guardian nicht mehr zusammenarbeiten. Alle anderen Zeitschriften wie Der Spiegel seien nach wie vor „an Bord“.

Assange nutzte die Gelegenheit, seine Motivation zu erklären: Jede Organisation – staatlich oder privat – betreibe Geheimnistuerei, um die Öffentlichkeit zu täuschen. Es sei die Aufgabe von Journalisten, diese Dinge aufzuklären.

„Die Versuche, meine Organisation zu zerstören, ist ein Ausdruck der Angst der Mächtigen.“ Gemeint war vor allem der Boykott durch amerikanische Kreditinstitute. Neunzig Prozent seiner Einnahmen seien Wikileaks verlorengegangen, weil niemand mehr über Visa und Mastercard spenden könne. „Selbst dem Ku-Klux-Klan können Sie Geld zukommen lassen – oder Pornoseitenbetreibern, aber nicht uns, einer Organisation, die sich für die Verteidigung der Meinungsfreiheit einsetzt.“ (rg)

Johann Oberauer (Hrsg.): Jahrbuch für Journalisten. Oberauer Verlag 2011, gebunden, 174 Seiten, 19,50 Euro

Foto: Videobotschaft: Wikileaks-Gründer Julian Assange hat die Medienwelt ein Stück weit revolutioniert

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