© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Geschäfte im Wüstensand
Libyen I: Die Rebellen und ihr schwieriger Kampf gegen die illegale Einwanderung
Billy Six

Ein wenig Knallerei, zehn verschiedene Rebellenfraktionen, wirre Interessenlagen. Man könnte es beruhigt dabei belassen – schließlich sind die südostlibyschen Kufrah-Oasen nicht der Nabel der Welt. Aber ein Problem für die Welt ist dieser abgelegene Sahara-Ort früher oder später schon. Nach Angaben aus der Rebellenhochburg Bengasi passierten bis Kriegsausbruch 60 Prozent aller Libyen-Migranten aus Schwarzafrika das 40.000-Einwohner-Nest. Fluchtweg in die EU. Italien hatte das Problem erkannt. Reichlich Geld floß an Muammar Gaddafi, um dem Ansturm Tausender aus Tschad, Sudan und dem Horn von Afrika Einhalt zu gebieten. Wie zu hören ist, waren italienische Experten bis zur Februar-Revolution selbst vor Ort. Ihr Ziel: Der Aufbau wirksamer Überwachungsanlagen für die weite Grenze – nun scheint nichts mehr als eine Fata Morgana.

Die Rebellen des „17. Februar“ sind die neuen Herren im Wahad, der südlichen Cyrenaika. Abdul Salaam al Sway ist einer von ihnen. Mit sechs Geländewagen setzt sich die kleine Gruppe unter seiner Führung in Bewegung. Jeder westliche Beobachter sei herzlich willkommen – schließlich wolle man demonstrieren, daß die Rebellen ernst machten mit dem Stopp der illegalen Einwanderung. 50 Kilometer geht es in die flache Sandwüste. Dann fallen Schüsse. Ein weißer Toyota – umstellt – 19 Schwarze auf der engen Ladefläche. Unter dem Eindruck der auf sie gerichteten Gewehre werfen sie sich auf den weichen Boden. Die zehn Männer und neun Frauen stammen aus Somalia. „Wir flohen vor Krieg und verrückten Moslem-Milizen“, so der 16jährige Student Mohammed Socdaal, der aber auch auf eine aussichtsreiche Zukunft in Europa hofft. Mit einem ruppigen Schlepper seien sie von der sudanesischen Grenze in rund fünf Stunden hierher gekommen, sagen sie. Der Fahrer ist Libyer. Ein beleibter Mann mit Kopfschal nimmt sich den Mann zur Brust. Die Kalaschnikow wird durchgeladen und an die Schläfe gedrückt. „Nein, laß ihn“, rufen die Rebellen-Kameraden. „Gnade vor Recht!“ Der Schlepper darf dann wieder gehen – allein.

Der scheinbar konsequente Vollstrecker ist Jahd al Sway. Der wahre Chef. Dem „Paten“ gehören die Fahrzeuge der Truppe. Mit diversen Schiebereien habe er es zu Vermögen gebracht, ist später andernorts zu hören. Dann sei er im Knast verschwunden – und erst in „der neuen Zeit“ wieder aufgetaucht. Fragen bleiben: Wieso ließen die Libyer den Menschenschleuser mitsamt seiner 3.000 US-Dollar Einnahmen davonfahren?

„Nicht alles läuft perfekt“, meint dazu Isa Abdul Majid al Tobawieh, neuer Grenzbeauftragter für Al Kufrah. Der Angehörige des schokobraunen Tobou-Stammes sitzt in makellosem Anzug in seinem Büro. Zwölf Jahre hat er im norwegischen Exil gelebt, jetzt ist er „Feuerwehrmann“ für die Wüste. Im Auftrag der Rebellen-Regierung von Bengasi. „Mit 80 Wagen könnte ich alle Probleme lösen – illegale Einwanderung, Waffenschmuggel und Drogentransporte.“ Viel sei ihm versprochen worden, aber nach wie vor sitzt er auf vielleicht einem Dutzend Fahrzeugen. Gerade mal den Stadtrand kann die Grenzarmee derzeit bewachen. An die echten Brennpunkte zum Sudan und Tschad traut sich ohnehin kein Aufständischer heran, seit sich die Milizen der „Gerechtigkeitswewegung“ aus Darfur (Sudan) auf libyscher Seite breitgemacht haben. Was der oberste Bevollmächtigte nicht sagt: Alle seine Soldaten gehören der gleichen Sippe an, den Tobou. Die arabischen Sway dagegen wollen mit Isa nichts zu tun haben. Und sie stellen die Mehrheit in Kufrah.

Keine Frage: Derzeit kann sich ein jeder nach Gutdünken betätigen – solange das Maß nicht überschritten wird. Die jungen Leute aus Somalia sind mittlerweile in eine Baracke verfrachtet worden. Sie werden gut versorgt, sind aber mit den Nerven am Ende. Eine halbe Stunde vor der Festnahme habe ihr Schlepper gestoppt. Erneut wildes Gestikulieren und böse Drohungen gegen die ungeliebten „Gäste“ und ihre „geringe Zahlkraft“. Ein Gespräch mit dem Satellitentelefon. Und ein Datenaustausch. Ein Blick in die eigene Digitalkamera bringt Überraschendes ans Sonnenlicht: Zur selben Zeit telefonierte auch ein anderer – Jahd al Sway.

Fotos: „Hände hoch“: Die von den Rebellen festgesetzten somalischen Flüchtlinge werden gut versorgt, müssen aber dennoch um ihr Leben bangen ; Vor dem Zugriff auf die llegalen: Jahd al Sway (l.) und seine Grenztruppen

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