© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Gezähmter Löwe für Flensburg
Geschichtspolitik: Nach langem Streit kehrt ein dänisches Siegesdenkmal in Deutschlands nördlichste Stadt zurück
Hans-Joachim von Leesen

Am vergangenen Sonnabend parkten in Flensburg rings um den historischen Friedhof auf dem westlichen Höhenzug, der vielen Gefallenen aus den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Dänen im neunzehnten Jahrhundert als Ruhestätte dient, auffällig viele Autos und Reisebusse mit dänischen Kennzeichen. Es hatte sich hoher Besuch aus dem Nachbarland angesagt: Prinz Joachim, der zweitälteste Sohn von Königen Margrethe II., war nach Flensburg gekommen, um den auf Wunsch der Flensburger Ratsversammlung aus Kopenhagen zurückgeholten Idstedt-Löwen feierlich zu enthüllen.

Da stand nun das acht Meter große bronzene Denkmal, das von den dänischen Besatzern einst als Siegesmal erichtet worden war und lange Zeit Deutsche und Dänen entzweit hat. Für die einen war der Löwe, errichtet ausgerechet über den Gräbern ihrer Freiheitskämpfer, ein Symbol der Demütigung und Fremdherrschaft, für die anderen ein Zeichen für den Anspruch Dänemarks auf das nördliche Schleswig-Holstein.

Nun ist der auf Kosten des dänischen Staates restaurierte Löwe nach Flensburg zurückgekehrt. Die Stadt hatte zu dem Ereignis 200 Ehrengäste geladen, ein Musikkorps der dänischen Armee spielte dänische Unterhaltungsmusik, bis der Prinz in Begleitung des dänischen Kultusministers Per Stig Möller, des deutschen Botschafters in Kopenhagen, Michael Zenner, und des seit Januar amtierenden Flensburger Oberbürgermeisters Simon Faber erschien.

Fabers Amtsvorgänger Klaus Tscheuschner (CDU) hatte vor zwei Jahren zusammen mit der Linkspartei die Initiative ergriffen, die dänische Regierung zu bitten, den Löwen wieder zurückzubringen. Nun war es an Faber, der der dänischen Minderheit angehört, in seiner Rede, die die deutsch-dänische Nachbarschaft beschwor, den königlichen Gast zu begrüßen. Er gab sich überzeugt, daß die vergangenen Jahrzehnte aus dem Kriegs- und Siegesdenkmal „eine Geste der Versöhnung“ gemacht hätten. Ausdrücklich lehnte er die in der Vergangenheit in den Reihen der dänischen Minderheit häufig geäußerte Deutung ab, der Löwe dürfe erst nach Flensburg zurückkehren, wenn der Landesteil Schleswig wieder zu Dänemark gehöre. Prinz Joachim, der sich in akzentfreiem Deutsch, alternierend mit Dänisch, an die rund 400 Zuhörer wandte, sah in dem Löwen ebenfalls ein „starkes Symbol der Verständigung und Versöhnung“ und ein hoffnungsvolles Zeichen für die deutsch-dänische Nachbarschaft der Zukunft. Bemerkenswert auch die Worte des dänischen Kultusministers Per Stig Möller, der ständig zwischen Deutsch und Dänisch wechselte und unter Berufung auf das Goethe-Wort „Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben, bleib im dunkeln unerfahren, mag von Tag zu Tage leben“ an die Zeitgenossen appellierte, sich mit der Gechichte zu beschäftigen. Der Idstedt-Löwe sollte anregen, sich mit der Vergangenheit zu befassen, um die Zukunft gestalten zu können. Allen Rednern war so gemeinsam, daß sie sich von dem Löwen als Siegesmal distanzierten, das schon zur Zeit seiner Errichtung unangebracht gewesen.

Beim anschließenden Empfang der Stadt schlug der Flensburger Stadtpräsident Christian Dewanger dagegen einen anderen Ton an: Er vertrat die Auffassung, es gehe nicht an und sei auch nicht sinnvoll, dem Denkmal einen neuen Sinn zuzuschreiben. „Der Idstedt-Löwe ist kein Denkmal der Freundschaft“, es sei und bleibe ein „Siegesdenkmal der dänischen Krone“. Dennoch sei die Rückkehr ein Zeichen des neuen Charakters des deutsch-dänischen Zusammenlebens im Grenzgebiet.

Zuvor hatte Prinz Joachim die nun zusätzlich am Denkmal angebrachte Inschrift enthüllt: „Isted – den 25. Juli 1850. Reijst 1862. 2011 wieder errichtet als Zeichen von Freundschaft und Vertrauen zwischen Dänen und Deutschen“. Das Musikkorps der dänischen Armee hatte seinen Platz für die Flensburger Stadtbläser geräumt, die zum Abschluß der Feierlichkeiten amerikanische Schlager spielten, darunter ein Stück aus dem Walt-Disney-Film „König der Löwen“.

Die zahlreichen Dänen unter den Teilnehmern zeigten sich alle sehr zufrieden mit der Wiedererrichtung des Denkmals in Flensburg. Auch die Angehörigen der dänischen Minderheit, wie die 25 Jahre alte Anne Winketströter, freuten sich sichtlich über die Rückkehr des Löwen. Dieses Symbol werde die dänische Minderheit in Flensburg stärken, glaubt die junge Frau.

Etwas abseits stand unterdessen ein einsamer Mann mittleren Alters, der eine große blau-weiß-rote Fahne geschultert hatte. Einst war sie die Fahne der aufständischen deutschen Schleswig-Holsteiner, die sich gegen die dänische Fremdherrschaft erhoben, heute ist sie die Landesflagge. Er äußerte sein Unbehagen über die Wiedererrichtung des Denkmals. Ob er Angst vor den Dänen habe? „Man kann nie wissen“, sagte er.

 

Der Idstedt-Löwe

Der Idstedt-Löwe wurde 1862 als Zeichen des Sieges über die deutschen Schleswig-Holsteiner von Dänemark auf den Gräbern gefallener schleswig-holsteinischer Freiheitskämpfer errichtet. Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 wurde der bronzene Löwe nach Berlin gebracht. Von dort ließen ihn die amerikanischen Besatzungstruppen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Kopenhagen transportieren. Seit 1945 forderten dänische Nationalisten, die eine Verschiebung der Grenze nach Süden anstrebten, immer wieder, den Löwen nach Flensburg zu bringen.

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