© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Botschaften für ein religiöses Notstandsgebiet
Matthias Matusseks „katholisches Abenteuer“ und die Entdeckung eines vermeintlich verschollenen Glaubenskosmos
Mechthild Löhr

Es gibt kein größeres Reizthema als Religion in diesen Tagen. Das Beten haben wir verlernt, aber nicht das Streiten.“ Vielleicht liegt schon in diesen beiden knappen Sätzen eine Erklärung dafür, warum ausgerechnet einer der bekanntesten Spiegel-Autoren, Matthias Matussek, die Stunde gekommen sieht, seine unzeitgemäße Confessio zu schreiben. Wer nach den langjährigen Lieblingsfeinden der Medien- und Feuilletongesellschaft sucht, wird schnell erkennen, daß nicht etwa muslimischen Despotien à la Gaddafi, Weltkonzernen oder Staats- und Bankenmacht ihr zuverlässiger und regelmäßiger Furor gilt, sondern bevorzugt dem Papst und der katholischen Kirche. Matussek, der sein Heil in frühen Jahren auch schon ganz woanders suchte, beispielsweise im Kommunismus, hat sich in seinem neuen Buch eine Philippika gegen den Angriff auf seinen „Verein“, wie er selbst es nennt, von der Seele geschrieben, wie sie nur selten zu lesen ist.

Er läßt kaum eines der Reizthemen aus, die die katholische Kirche seit langem verfolgen. Zur Verteidigung der Religion versucht er sogar seinerseits die Umkehr der Beweislast: Wenn über 80 Prozent der Weltbevölkerung nachhaltig als religiös gelten können, ist das „Talent zur Transzendenz“ wohl nur in bestimmten Kreisen erloschen, aber doch bleibende menschliche Grundbedingung. Das höchst abwechslungsreich und sehr persönlich geschriebene Buch enthält vor allem ein geistreiches Plädoyer gegen eine allzu bequeme, billige Anpassung an die Erwartungen der Welt und des Zeitgeistes. Er ironisiert gleichermaßen neukirchlich bemühte „Dialogoffensiven“, die die Ernsthaftigkeit und Tiefendimension eines lebendigen Glaubens ebenso verzerren, weil sie die Wahrheitsfrage durch Mehrheitsbefragungen substituieren wollen, wie ein bloßes Kulturchristentum, das den Wert von Kirche und Religion nur an sozialer Nützlichkeit messen will. „Sorry, Leute, aber irgendwann ist jede Party zu Ende, und dann beginnen die letzten Fragen“, denen er seinerseits nicht ausweichen will.

Gleich am Anfang stürzt er sich auf die zeitgenössisch gängige „Verabschiedung der Sünde“, den neuen „Unschuldswahn“, und setzt dagegen eine Apologie für ein (neues) Sündenbewußtsein, indem er Eitelkeit, Habgier, Genußsucht, Rachsucht, Maßlosigkeit, Neid, Mißgunst, Trägheit geistreich als das entlarvt, was sie seit jeher sind: zerstörerisch für den einzelnen und die Gemeinschaft, schwere Sünden eben. Worum es ihm als Glaubendem in seiner Kirche wirklich geht und worauf sich dagegen die massive Dauerkirchenkritik konzentriert, wird von ihm in einzelnen Schichten und Themen ironisch und scharfsinnig gleichermaßen herausgeschält und kontrastiert. Von innen (er)lebt man die Kirche eben ganz anders als nur von außen!

Die öffentlichen Provokationen, die durch den Blätterwald und die Talkshows rauschen, konzentrieren sich meistens nur auf ganz wenige Reizthemen, die dann genügen sollen, um Millionen Katholiken im Lande als Dorfdeppen zu entlarven, die heute noch mit Überzeugung, ja sogar Begeisterung katholisch sind. Zölibat, Papst, Priester, das bedeutet kein Sex, keine Demokratie, keine Gleichberechtigung. „Völlig quer, der Haufen“, schreibt Matussek richtig dazu. Aber so simpel ist der Glaube, ist die Kirche eben nicht zu fassen oder zu beerdigen. Wie anders der Kosmos des Glaubens tatsächlich ist, will er durch seine eigene Vita nahebringen, indem er gewissermaßen daran teilhaben läßt, wodurch seine Gottesbeziehung eingewachsen ist in seine ganze Existenz.

Was für ihn Heiligkeit, Gottesdienst und Beichte bedeuten, fehlt ebensowenig wie die beißende Kritik eines neuen „religiösen Analphabetismus“, der versucht, die „Spießigkeit einer Habsuchtgesellschaft ohne jede Transzendenz“ als neue Form der Diktatur zu etablieren. Sehr nahe läßt er miterleben, wie ihn sowohl der „Jahrtausendpapst“ Johannes Paul II. als auch Benedikt XVI. persönlich erreicht und geprägt haben.

Spannende persönliche Dialoge führt er mit Martin Walser und vor allem Jürgen Safranski über Religion, Kirche und ihren Glauben. Interessanterweise wettern sie gemeinsam gegen die „digitalen Ersatz-Andachten“ und die weitgehende Trivialisierung und Profanisierung des Kirchlichen und bezeugen ihren großen Respekt gerade vor der katholischen Kirche, ihre Achtung vor der Tradition, der Liturgie und sogar vor dem Zölibat. Matussek will offensichtlich nicht mehr dazu schweigen, wenn christlicher Glaube attackiert oder lächerlich gemacht wird. Er skizziert den Abschied von der Volksreligion und die Entwicklung hin zu einer tatsächlichen Entscheidungsreligion.

Wer wie der Spiegel-Auslandskorres-pondent lange nicht in Deutschland gelebt hat, sieht vielleicht klarer als andere, daß gerade Europa ein „religiös ausgenüchtertes Notstandsgebiet“ geworden ist. Er wirft den Medien vor, daß sie „zu Fabrikationsstellen von Götzen“ geworden sind. „Und die werden gebraucht in säkularen Zeiten ...“

Das 20. Jahrhundert gehe in die Geschichte ein als eines, „das sich Ersatzgötter am Fließband schuf, immer atemloser ...“ Wer heute die „Gegenwelt des Glaubens“ erforschen will, die keine Abwendung von der Welt, sondern eine Umkehr und neue Zuwendung zu ihr bedeutet, sollte sich in sein „katholisches Abenteuer“ vertiefen. Und versteht vielleicht dann besser, warum Millionen von Jugendlichen mit Benedikt XVI. in Madrid begeistert feiern, er jedoch in Deutschland für nicht wenige ein unbeliebter Staatsgast und eine Provokation ist.

Matthias Matussek: Das katholische Abenteuer. Eine Provokation. DVA, München 2011, gebunden, 368 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro

Foto: Religiöse Abenteuer findet man nicht nur auf dem Jakobsweg: Gegenwelt des Glaubens erforschen

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