© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

Nur ein Spiel auf Zeit
Koalitionsstreit: Daß die Griechenlandpleite bevorsteht, ist eigentlich allen klar
Bernd-Thomas Ramb

Worüber man spricht, worüber man sprechen sollte“ hieß der Untertitel des ersten politisch-kritischen Fernsehmagazins „Panorama“ Ende der fünfziger Jahre. Heute scheinen die Politmagazinsendungen der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten eher nach dem Motto zu verfahren: Verschweigen, worüber man sprechen sollte – verurteilen, wer dennoch darüber spricht – vertuschen, besonders wenn es um den Euro geht. Der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland, Philipp Rösler (FDP), hat es gewagt, das politische Tabu zu brechen, über die Staatspleite Griechenlands laut nachzudenken. Mehr noch, er hat nicht nur einen Insolvenzplan für Griechenland gefordert, er hat generell verlangt: „Es darf keine Denkverbote mehr geben!“ Das „keine mehr“ impliziert, daß es bislang Denkverbote gibt.

Der Regierungspartner CDU (von wenigen Ausnahmen abgesehen) rüffelt Rösler als politischen Tolpatsch. Seine Aussage schade dem Euro, den Finanzmärkten, der Griechenlandrettung und so weiter und so fort. Sie diene allein populistischer Stimmungsmache. Letzteres mag sein, wenn da die richtige Reihenfolge beachtet wird. Die FDP hat die Zustimmung der Wähler verloren, weil sie sich so lange dem Denkverbot unterworfen hat und weil dies von ihr nicht erwartet worden war. Rösler versucht diesen Fehler zu korrigieren. Bislang vergeblich, wie die Wahl in Berlin zeigte.

Das Thema Griechenlandpleite nimmt aber rasend schnell an Brisanz wie an Offenkundigkeit zu. Um so befremdlicher wirken die hämischen Kommentare von allen Seiten. Der FDP allein Profilneurosen vorzuwerfen und über den Juniorpartner zu spotten, der weder der mit allen Wassern gewaschenen Kanzlerin noch dem sich in politischer Weisheit sonnenden Regierungsmethusalem Schäuble Paroli bieten könne, entwickelt sich zur neuen politischen Korrektheit. Dem Diktat der Griechenlandrettung um jeden Preis beugen sich die öffentlich-rechtlichen Medien, wie die euro-hörigen Parteien gleichermaßen.

Ungewöhnliche Schützenhilfe erhält die noch mitregierende FDP immerhin von dem dritten Koalitionspartner, der CSU. Auch hier mag die bevorstehende bayerische Landtagswahl den Mut beflügelt haben. Politisch wahltaktische Überlegungen allein reichen jedoch nicht aus, die plötzliche Liebe zur Wahrheit zu erklären. Die CSU-Kritik in Sachen Denkverbot und Griechenlandpleite wird allerdings von den Euro-Hütern nur am Rande vermerkt, was den bayerischen Zorn, vor allem auf die Bundeskanzlerin, anstacheln dürfte. Duldsamer ob ihrer geringen Beachtung sind dagegen die Unterstützer aus den Reihen angesehener Wirtschaftswissenschaftler, deren Mahnungen salopp in den Bereich der politischen Naivität verschoben werden. Langfristig wird diese Ignoranz nicht weiterhelfen. Griechenland ist pleite und kann seine Schulden nicht bezahlen; der Euro hängt am seidenen Faden. Die Bevölkerung weiß das und läßt sich nicht länger täuschen.

Warum also nicht heraus mit der Wahrheit? Immer noch an ein Wunder im letzten Augenblick zu hoffen, ist ebenso lächerlich wie das Argument, die Wahrheit dürfe nicht laut ausgesprochen werden, weil sonst die Finanzmärkte verunsichert werden. Wer den Finanzmärkten so viel kindische Naivität zutraut, sollte nicht von Denkverboten sprechen, sondern das eigene Denkvermögen überprüfen. Die Griechenlandrettungsoptimisten können nur noch auf Zeit spielen. Das aber hat sowenig Sinn wie bei einer Fußballmannschaft, die in Rückstand liegt: Die drohende Niederlage wird lediglich vorzeitig festzementiert. Allenfalls kann sich das Torergebnis noch verschlechtern. Mit der Wahrscheinlichkeit einer Ergebnisverschlechterung erhält die scheinbar unsinnige Verzögerungstaktik allerdings einen ganz anderen Sinn.

Das offene Bekenntnis zur irreparablen Griechenlandpleite mit dem notwendigen Austritt aus dem Euro und dem Verzicht der Gläubiger auf vollständige Rückzahlung der gewährten Staatskredite, das berühmte Ende mit Schrecken, würde entgegen den Beteuerungen der Regierung die geringsten Kosten verursachen. Alle gegenteiligen Rechnungen beruhen auf willkürlichen Annahmen zugunsten des Beharrens auf dem Schrecken ohne Ende. Krieg in Europa, Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft: alles Humbug. Die Selbstheilungskräfte der unbelasteten Wirtschaft, auch der Finanzwirtschaft, sind stärker als die teuren Mittelchen der Euro-Quacksalber. Das dürfte auch der Regierung bekannt sein.

Der ultimative Sinn des Verhinderns, diese Wahrheiten auszusprechen, kann dann nur noch in dem finalen Zweck der Euro-Turbolenzen liegen, die Zentralisierung der staatlichen Macht auf der europäischen Ebene zu verwirklichen. Die eingeschlagene Strategie ist ebenso simpel wie perfide: Die desaströse Lage Griechenlands wird – in Verbindung mit dem als alternativlos deklarierten Verbleib im Euro-Währungsverbund – zur Etablierung einer europäischen Wirtschaftsregierung mißbraucht.

Wirtschaftsregierung klingt harmloser als zentrale Finanzverwaltung und zentrale Haushaltsplanung. Beides muß aber folgen, wenn die zentrale Wirtschaftsregierung wirken soll. Diese Wahrheit heute schon auszusprechen, trauen sich aber selbst FDP und CSU nicht.

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