© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

Geiselnahme im Internet
Linksextremismus: Unbekannte Hacker kapern unmittelbar vor der Abgeordnetenhauswahl die Seiten der Berliner NPD
Felix Krautkrämer

Der Angriff kam zum denkbar unpassenden Zeitpunkt. Nur einen Tag vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus kaperten Hacker die Internetseite der Hauptstadt-NPD und legten sie völlig lahm. Wer sich über die Kandidaten oder das Wahlprogramm der Partei informieren wollte, sah sich einem weißen Bildschirm mit der Meldung „Hier entsteht die Domain nazi-leaks.de“ gegenüber.

Ähnlich erging es den NPD-Landesverbänden von Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Auch ihre Seiten waren nach dem Angriff vom vergangenen Sonnabend nicht mehr zu erreichen. Insgesamt verschafften sich die bislang unbekannten Täter Zugriff auf rund 170 Domains (Internetadressen) der NPD, darunter zahlreiche Kreisverbände und Aktionsseiten wie muettergehalt.de. Angriffsziel war laut der NPD der Verbandsserver der Partei, der im Vergleich zum Bundesserver über geringere Schutzmaßnahmen verfügt. Zwar habe es auch auf letzteren Attacken gegeben, diese konnten nach Angaben des Leiters der NPD-Rechtsabteilung, Frank Schwerdt, aber abgewehrt werden. Der Verbandsserver sei jedoch durch ein gezieltes massenhaftes Aufrufen der auf ihm liegenden Internetseiten zusammengebrochen, wodurch sich die Hacker Zugang verschaffen konnten.

Einmal im System war es dann für die Angreifer ein leichtes, die dortigen Informationen auszuspähen. Dazu zählt auch der E-Mail-Verkehr der betroffenen Landesverbände, der von den virtuellen Einbrechern mehreren Medien zugespielt wurde. Laut Spiegel Online handelt es sich dabei um etwa 100.000 Nachrichten aus den vergangenen drei Monaten.

Über den Inhalt der Mails läßt sich nur spekulieren, allerdings hieß es in einem ersten Bericht auf Spiegel Online beinahe schon mit Bedauern, volksverhetzende oder rassistische Ausfälle der Funktionäre und Verbände fänden sich darin zumindest auf den ersten Blick nicht. Koautor des Artikels war der freie Journalist Maik Baumgärtner, der über Kontakte zur linksextremen Szene verfügt und seine ersten publizistischen Gehversuche unter anderem auf der linksextremen Internetplattform Indymedia und bei der Jungen Welt unternahm.

Die Hacker beließen es allerdings nicht nur beim bloßen Diebstahl der Daten, sondern zogen mit einigen Seiten zu anderen Providern (Anbietern) um, was zur Konsequenz hatte, daß die Administratoren der NPD nicht mehr auf diese zugreifen konnten. Zwar hat die Partei den neuen Providern mittlerweile klargemacht, daß es sich hierbei um eine illegale Aktion ohne die Zustimmung der bisherigen Eigentümer handelte, dennoch wird es wohl einige Zeit dauern, bis die Partei wieder im Besitz sämtlicher Domains ist. Um einen langwierigen Rechtsstreit zu vermeiden – bis zu dessen Entscheidung die NPD nicht hätte auf die Domains zugreifen können – einigte man sich nach Angaben der Partei mit den Providern auf die Zahlung einer Gebühr.

Schwerdt hofft nun, daß die Polizei im Zuge der Ermittlungen den Hackern auf die Schliche kommt – die Chancen hierfür dürften allerdings eher gering sein. Dennoch habe die Partei Anzeige wegen des Verstoßes gegen Paragraph 202a Strafgesetzbuch (Ausspähen von Daten) gegen Unbekannt gestellt. Im Falle einer Verurteilung droht den Tätern eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.

Doch selbst wenn es dazu kommen sollte, der Imageschaden und der Vertrauensverlust, den die NPD in Sachen Datensicherheit durch die Attacke zu beklagen hat, läßt sich dadurch nicht wieder wettmachen. Immerhin handelt es sich nicht um den ersten erfolgreichen Angriff. Erst Ende Mai hatte eine Gruppe namens „No-Name-Crew“ mehrere Internetseiten der NPD gehackt und anschließend eine Liste mit Namen vermeintlicher Spender veröffentlicht. Potentielle Geldgeber und Unterstützer der Partei, die es aus beruflichen und gesellschaftlichen Gründen vorziehen anonym zu bleiben, dürften sich von solchen Vorgängen eher abgeschreckt fühlen.

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