© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

Wir spielen „Protestpartei“
Gründerzeit: Zehn Jahre nach dem Triumph der Schill-Partei ist es Zeit für neue Erfolge. Ab zwei Spielern zwischen 18 und 99 Jahren
Christian Vollradt

Ein Erdrutsch-Sieg war das, eine Sensation: Die erst 14 Monate alte Partei wird bei ihrer Wahlpremiere aus dem Stand zur drittstärksten Kraft! Nein, die Rede ist nicht von den Piraten, denen am vergangenen Sonntag in Berlin ein Überraschungserfolg gelungen ist, sondern von Ronald Barnabas Schill. Vor genau zehn Jahren, am 23. September 2001, schrieb der damalige Politikneuling Geschichte, als die von ihm maßgeblich mitgegründete Partei Rechtsstaatlicher Offensive bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft 19,4 Prozent erzielte und 25 Abgeordnete stellen konnte.

Dieser Erfolg läutete an der Alster einen Machtwechsel ein, machte die Ablösung des rot-grünen Senats durch eine CDU-geführte bürgerliche Koalition unter Mitbeteiligung der Schill-Partei sowie der kleineren FDP erst möglich. Schill wurde nach der Wahl Innensenator und Zweiter Bürgermeister, zwei weitere Parteimitglieder bekleideten einen Senatorenposten. Der fulminante Erfolg hatte seine Ausstrahlung über die Grenzen des Stadtstaates hinaus. Bei vielen konservativ eingestellten Wählern, die sich nach einem Aufbruch im Parteiensystem sehnten, setzte Hochstimmung ein: Endlich gibt es eine neue politische Formation rechts der Union, die nicht extremistisch und zudem sogar koalitionsfähig ist!

Was sind die Gründe dafür, daß Schill schaffte, woran so viele zuvor und danach scheiterten? Erstens: Er hatte ein Thema. Und zwar eines, das den Bürgern Hamburgs unter den Nägeln brannte: die Kriminalität – und das, was gegen sie zu unternehmen sei. Anders als beim Thema „Islamisierung“ waren die Probleme in der Hansestadt offenkundig und betrafen viele Wähler konkret. Mit 16.650 Straftaten pro 100.000 Einwohner lag die Stadt bundesweit mit an der Spitze der Verbrechensskala; der rund um den Hauptbahnhof blühende Drogenhandel war nicht zu übersehen. 60 Prozent der Hamburger gaben in einer Umfrage an, Drogen und Gewalt seien das größte Problem der Stadt.

Zweitens: Schill war ein Zugpferd. Er galt aufgrund seines Richteramtes als seriös und in den Kernthemen der Partei als kompetent. Gleichzeitig hatte er die Ausstrahlung und das rhetorische Talent eines „Populisten“, der eine Nähe zum Volk herstellen konnte und in Diskussionen mit politischen Gegnern nicht unterging. „Kommen Sie gut nach Hause und lassen Sie sich nicht überfallen!“, so verabschiedete Schill seine begeisterten Zuhörer im Wahlkampf.

Drittens: Schill konnte sich glaubhaft nach rechts abgrenzen: „Jegliche Art von politischem Extremismus wird aufs schärfste verurteilt“, hieß es in den Grundsätzen der Partei. Neue Mitglieder mußten auf ihrem Aufnahmeantrag erklären, daß sie bislang noch kein Mitglied einer radikalen Partei waren. Gegen Unterwanderungsversuche Rechtsextremer ging die Partei mit Ausschlüssen vor. Bei allem „Populismus“, der ihm vorgeworfen wurde, mußte selbst die politische Konkurrenz feststellen, es gebe im Programm der Schill-Partei keine Hinweise auf eine ausländerfeindliche Einstellung. Schill selbst erwähnte seinen in einem Konzentrationslager umgebrachten Großvater, um seine „antifaschistische“ Grundhaltung zu betonen.

Dies alles unterstrich, daß der Amtsrichter nicht nur für enttäuschte Sozialdemokraten wählbar, sondern auch in bürgerlichen Kreisen salonfähig war. Es brachte (nicht nur) finanzielle Unterstützung aus der Wirtschaft, man konnte sich auch zu Schill bekennen, ohne eine gesellschaftliche Ächtung befürchten zu müssen. Hinzu kam die wohlwollende Berichterstattung der in Hamburg maßgeblichen Springer-Zeitungen (Hamburger Abendblatt und Welt). Nicht zuletzt mit seiner Medienpräsenz dominierte Schill den Wahlkampf und besetzte die Themen, denen alle anderen hinterherhecheln mußten.

Allerdings barg der Triumph des Jahres 2001 auch die Wurzel des Niedergangs der Schill-Partei. Die Nachfrage nach der neuen Formation war so groß, daß sie zu schnell wuchs. Gegen den Willen ihres Gründers trat die Schill-Partei im September 2002 in fünfzehn Bundesländern zur Bundestagswahl an und erreichte lediglich 0,8 Prozent. Bereits im Vorfeld hatte es Personalquerelen in mehreren Landesverbänden gegeben. „So wie wir uns darstellen, sind wir keine Alternative zu anderen Parteien“, kritisierte der Parteigründer seine Gefolgschaft auf einem Parteitag. Schuld am schlechten Auftreten hätten nach seiner Ansicht „Glücksritter und ehrgeizzerfressene Persönlichkeiten“. Es gebe „überproportional viele Querulanten in der Partei“, wetterte Schill. Die seien die „Krebsgeschwüre in einer gesunden Partei“. Dem Namensgeber selbst warfen seine innerparteilichen Gegner Selbstherrlichkeit, mangelnden Fleiß und eine Neigung zum Hedonismus vor.

Im Streit um eine Personalie hielt Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) seinem Stellvertreter schließlich einen Erpressungsversuch vor und entließ Schill. Am 9. Dezember 2003 zerbrach die Regierungskoalition, wenige Tage später wurde Schill aus Partei und Fraktion ausgeschlossen. Seine Liste Pro-DM/Schill kam bei der Neuwahl im Februar 2004 immerhin noch auf 3,1 Prozent, die Partei Rechtsstaatlicher Offensive erhielt lediglich noch 0,4 Prozent der Stimmen. Ronald Schill machte zuletzt als in Brasilien lebender Pensionär nur noch mit Filmaufnahmen von sich reden, die ihn beim Kokainkonsum zeigen sollen. Das dramatische Ende eines politischen Aufsteigers geriet zur Posse.

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