© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

Milliardenverluste drohen
Finanzkrise: Städte und Gemeinden versuchten sich in riskanten Zinswetten gegen Banken
Marco Meng

Kweku Adoboli, Broker im Bereich „Global Synthetic Equity“ der UBS in London, hat durch „unautorisierten, spekulativen Handel mit verschiedenen Aktienindexfutures“ 2,3 Milliarden Dollar (etwa 1,68 Milliarden Euro) verzockt. Das mußte die Schweizer Großbank, die im Zuge der Weltfinanzkrise vom Steuerzahler gerettet worden war, am Wochenende eingestehen.

Dabei hatte das Geldinstitut gelobt, keine riskanten Geschäfte mehr zu machen. Gegen den 31jährigen UBS-Angestellten aus Ghana haben die britischen Behörden inzwischen Anklage wegen Betrugs erhoben, auch UBS-Chef Oswald Grübel wird sich wahrscheinlich nicht an der Spitze des weltweit größten Vermögensverwalters halten können. Die Londoner Verluste werden die UBS wohl dennoch nicht kollabieren lassen.

Das könnte aber den Finanzen von Remscheid oder Riesa drohen. Denn ähnlich wie die weltläufigen Broker in Frankfurt, London oder New York zocken auch die heimatverbundenen Kämmerer deutscher Städte und Gemeinden: mit Zins- und Währungswetten, sogenannten Cross Currency Swaps (CCS) oder Spread Ladder Swaps. Sie gehören zu vielen „Finanzprodukten“, die keinen anderen volkswirtschaftlichen Ertrag haben als das Spielen am Roulettetisch in einem Casino. Verkäufer und Käufer wetten dabei auf unterschiedliche Zinsentwicklungen zwischen kurz- und langlaufenden Krediten.

Wer falsch liegt, muß dem Geschäftspartner den entsprechenden Betrag zahlen. Der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen. Der Vertrag läuft über einen festgelegten Zeitraum, ein einseitiges Kündigungsrecht hat in der Regel nur die Bank. Die Banken verkauften die Wetten den Kommunen mit dem Versprechen der „Zinsoptimierung“. In Wirklichkeit handelt es sich um komplexe Derivate, bei denen die Anleger auf die Steilheit der Zinsstruktur wetten. Das taugt nicht zur Absicherung von Zinsrisiken, sondern das „Geschäft“ ist rein spekulativ.

Und nun droht ein weiteres Finanzdesaster, nachdem erst im März die Deutsche Bank vom Bundesgerichtshof (BGH) wegen mangelhafter Beratung von Kommunen bei den von ihr angebotenen Zinswetten zu Schadenersatz verurteilt worden war. Die Bank hatte sich beim Verkauf des „Finanzprodukts“ das Vertrauen eines langjährigen guten Kunden zunutze gemacht. Sie hatte bei dem Zinsgeschäft die Gewinnformel so festgelegt, daß sie in jedem Fall auf der Gewinnerseite stand.

Der Anwalt der Deutschen Bank, Reiner Hall, hatte vor der Verhandlung übrigens den Richtern unverblümt gedroht, im Falle einer Niederlage käme es zu einer zweiten Finanzkrise. Neben der Deutschen Bank haben auch andere Geldhäuser schon seit Jahren Gemeinden, Kommunalunternehmen und auch mittelständischen Unternehmen solche Finanzderivate verkauft. Vorherige Klagen waren alle in erster Instanz abgewiesen worden, weil sich die Richter offenbar auf die Seriosität der renommierten Deutschen Bank verlassen hatten.

Insgesamt sollen Tausende Städte und Kommunen an solchen Wetten teilgenommen haben – auf Drängen des Bundestags legten die Banken nun die Zahlen vor: Ende 2010 belief sich der Gesamtwert der Wetten auf 63,7 Milliarden Euro. Remscheid hat bereits 20 Millionen Euro an die zum Verkauf stehende öffentlich-rechtliche WestLB (JF 9/11) verloren, der Verlust für Pforzheim beträgt 56 Millionen, Neuss verlor mit den Spekulationen zehn Millionen Euro, die 34.000-Einwohner-Stadt Riesa in Sachsen 3,3 Millionen. In Leipzig und Berlin soll es sogar um dreistellige Millionenbeträge gehen. Das Geschäft haben die Banken aber nicht nur in Deutschland betrieben: In Italien sollen Städten und Provinzen wegen dieser Zinsgeschäfte Abschreibungen von 2,5 Milliarden Euro drohen.

Nachdem die Banken zuvor mit Steuergeldern „gerettet“ worden waren, gehen nun also die Steuergelder direkt an die Banken – sind sie doch die Gewinner solcher Wetten. Die WestLB soll allein in Nordrhein-Westfalen Zinswetten für vier Milliarden Euro verkauft haben. Zwar ist den Kommunen durch die Gemeindeordnungen eigentlich jegliche Art von Spekulationsgeschäften verboten, doch bislang ist nie gegen die bekanntgewordenen Fälle vorgegangen worden. Der Bundestag will nun solche Geschäfte besser kontrollieren und die Aufsicht über Gemeinden und Kommunen stärken. Ralph Brinkhaus (CDU), Mitglied im Finanzausschuß des Bundestages, meint aber auch: „Ich erkenne bei den Banken wenig Unrechtsbewußtsein und glaube nicht, daß die Branche den Willen hat, sich selbst zu regulieren.“

Es wäre zwar nach dem Urteil vom März Zeit gewesen, endlich konsequent gegen die Falschberater der Banken vorzugehen. Doch merkwürdigerweise folgte kaum eine Kommune mit dem Schritt vor den Kadi: In Mülheim an der Ruhr stimmte die Mehrheit des Stadtrats dagegen, gerichtlich gegen die Banken vorzugehen, denen sie Wettverluste in Höhe von 6,1 Millionen Euro zu verdanken haben.

Dabei drohen den ohnehin schon klammen deutschen Städten weitere erhebliche Verluste aus alten Geschäften: Über das sogenannte Cross-Border-Leasing (CBL) hatten mit mehreren hundert Seiten dicken englischsprachigen Verträgen zwischen 1994 und 2004 viele ihre Infrastruktur an US-Investoren verkauft und zurückgeleast. So hat Köln beispielsweise seine Kanalisation für insgesamt zwei Milliarden Euro veräußert, Ulm sein Klär- und Müllheizkraftwerk, Gelsenkirchen zahlreiche Schulen und öffentliche Gebäude.

Alle Verträge wurden damals mit den großen respekteinflößenden Namen wie UBS oder dem US-Versicherungsriesen AIG geschlossen. Ob CCS oder CBL – letzlich ging es wie in der aktuellen Griechenland-Krise um Konkursverschleppung: Faktisch bankrotte Kommunen oder kommunale Eigenbetriebe kaschierten mit solch fragwürdigen Verzweiflungstaten für einige Zeit ihre Überschuldung.

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