© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

Pankraz,
der Chinadrache und die seltenen Erden

Dramatische Szene auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main: Die Bundeskanzlerin wandert zur Eröffnung durch die Hallen, und am Stand der Zulieferfirma Bosch stürzt sich deren Vorstandschef Fehrenbach geradezu verzweifelt auf sie. „Frau Bundeskanzlerin“, fleht er, „unser Zugang zu den für die Elektromobilität so dringend benötigten seltenen Erden wird immer schwieriger. Wir brauchen unbedingt die Unterstüttzung der Politik. Bitte, helfen Sie uns!“ Und Merkel verspricht: „Wir werden, soweit wir können, hilfreich zur Seite stehen.“

Man darf gespannt sein, was passiert und ob überhaupt etwas passiert. Tatsache ist jedenfalls, daß die ganze, auf der gegenwärtigen IAA so hochgejubelte Ära der Elektro- und Hybrid-Autos vollständig von der kontinuierlichen Zufuhr seltener Erden abhängig ist. Ohne seltene Erden wird es keine dauerhaft einsatzfähigen Elektro-Autos geben, sowenig wie es ohne sie Handys gäbe, moderne Bildschirme, Kernspintomographen, Windräder, kratzfreie Poliermittel und und und. Seltene Erden sind gewissermaßen das Erdöl zur Sicherung der feineren, typisch „westlichen“ Lebensart geworden.

Die Fatalität ist aber, daß es abbaufähige seltene Erden in den traditionellen westlichen Industrieländern kaum gibt, weder in Europa noch in den USA und auch nicht in Japan. Die vielberedeten „Schwellenländer“, Brasilien, Indien, Malaysia, sind auch hier wieder einmal die Gewinner, haben ertragreiche Schürffelder. Die bei weitem größten Vorkommen (97 Prozent) befinden sich freilich in China, was an sich niemanden überrascht, denn China ist ja ohnehin der absolute Star der politischen Gegenwart, warum nicht also auch hier?

Chinas Führung sitzt zur Zeit wie ein gigantischer Nibelungendrache auf einem ungeheuren Schatz zahlreicher seltener Erden, und kein Jung-Siegfried ist in Sicht, der es mit diesem Drachen auch nur annähernd aufnehmen könnte. Wer von dem Schatz profitieren will, der muß sich mit Peking auf komplizierteste Verhandlungen einlassen und eine Menge Kröten schlucken. Bloße Industrieunternehmen – siehe Bosch – sind da mit ihren Möglichkeiten weit überfordert, immer kommt gleich größte Politik ins Spiel. Deshalb der verzweifelte Hilferuf von Franz Fehrenbach auf der IAA.

Wer aber sind denn nun eigentlich diese seltenen Erden, wie sehen sie aus, wie findet man sie, wie kommt man an sie heran? Nun, es sind an sich schlichte Metalle wie Eisen oder Blei, Gold oder Silber, nur bei weitem nicht so ansehnlich wie die beiden letzteren, man konnte lange nichts mit ihnen anfangen. Sie waren eben einfach Bestandteile der Erdkruste, „Feldspat“, und erst im späten 19. Jahrhundert lernte man, die einzelnen Arten voneinander zu unterscheiden und in die Nomenklatura der Elemente einzuordnen. Alle kriegten, wie üblich, einen lateinisschen Namen verpaßt, und damit ließ man es bewenden.

Ihr rasanter Aufstieg ist allerjünsten Datums, ein Produkt der Elektronik-Industrie. Die Elektroniker merkten, daß viele der „Seltenerd-Elemente“, Lanthan etwa und Neodym, Terbium und Lutetium, im Gegensatz zu den herkömmlichen Halbleitern ein außerordentlich vielfältiges, „diskretes“ Energiespektrum aufwiesen. Man konnte mit ihnen Werkteile dauerhaft magnetisieren, wodurch Hybridmotoren oder Windräder überhaupt erst einsatzfähig wurden und gewisse Lackiermethoden überhaupt erst ihren Sinn bekamen.

Heute kann man mit Hilfe der seltenen Erden die verschiedenen Energieformen auf eleganteste Weise ineinander überführen und dadurch gegebenenfalls riesige Energiemengen einsparen, man kann Gerätschaften sensationell verkleinern oder medizinische Diagnosen fast unendlich verfeinern. Unsere ganze moderne Verkleinerungs- und Einsparungsindustrie wäre ohne seltene Erden gar nicht denkbar. Nur sie ermöglichen uns präziseste und sofortige Kommunikation über den Globus hinweg und durch dickste Wände hindurch.

Bedenkt man das, könnte man schon erschauern vor der Macht, die der Chinadrache mittels seltener Erden über uns alle gewonnen hat. Die internationale Suche nach Vorkommen außerhalb Chinas hat denn auch hektische Züge angenommen. Neuerdings will man große Bestände in West-Australien und in Kanada ausgemacht haben. Vor allem aber die Polkappen, auf die China keinen Zugriff hat, werden für Prospektoren interessant. Grönland, so heißt es, stecke voller Lanthan und Neodym, besonders in seinen nördlichen Eiszonen.

Neue ökologische Verheerungen stehen wohl bevor, dazu gewaltige Entwicklungskosten. Die Förderung und Aufbereitung seltener Erden ist sehr teuer und kompliziert. Die Ähnlichkeit der chemischen Eigenschaften in den einzelnen SE-Metallen macht ihre Trennung oft unmöglich, jedenfalls beim bisherigen Forschungsstand. Die Forschung über Eigenschaften und Instrumentalisierung seltener Erden ist im vollen Gange, und sie erfordert höchste wissenschaftliche Qualifikation. Hochinteressante Einsichten und à la longue hohe materielle Gewinne locken, und das gilt gerade auch für Deutschland und seine chemische Industrie.

Jeder Blick in die Wissenschaftsgeschichte zeigt: Die gloriose chemische Industrie, die seit dem 19. Jahrhundert eine Quasi-Domäne der Deutschen war, war eine „Industrie ohne Rohstoffe“. England und Frankreich mit ihren ausgedehnten damaligen Kolonialgebieten hatten die Rohstoffe, Öl, Baumwolle, Kupfer, Molybdän, aber Deutschland hatte seine chemische Industrie – und die verwandelte all diese Stoffe vielfach erst in einsatzfähige Derivate und Nutzprodukte und erfand noch manche dazu.

Warum, so darf man fragen, sollte das heute grundsätzlich anders sein? Zwischen Rohstoffbesitzern und Rohstoffverwandlern sind gerade heute die fruchtbarsten Kooperationen möglich, streckenweise sogar absolut notwendig. Und übrigens: Der chinesische Drache ist nach dortiger Geistestradition ein durchaus freundliches Tier, auch beim Schatzhüten.

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