© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Erbitterter Kampf gegen den Machtverlust
Schwarz-Gelb: Vor dem Hintergrund der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm wird der Ton in der Koalition rauher
Paul Rosen

Die Koalition erinnert an einen Wanderer im Winter, der auf dünnem Eis unterwegs ist. Wenige Zentimeter unter den Sohlen lauert der Tod. Die Wanderung kann noch lange dauern – oder in jedem Augenblick zu Ende sein. „Sehnsucht nach dem Ende“ des Bündnisses von Union und FDP machte bereits Der Spiegel aus. Doch die Spitzen der bürgerlichen Parteien krallen sich an der Macht fest, so daß CSU-Chef Horst Seehofer recht selbstsicher am Montag, wenige Tage vor der Euro-Abstimmung im Bundestag, auf die Frage nach dem Ende des bürgerlichen Bündnisses verkündete: „Nein, das sehe ich nicht.“

Natürlich gibt es zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Philipp Rösler sowie den Fraktionschefs Volker Kauder (CDU/CSU) und Rainer Brüderle (FDP) keine Liebesschwüre. Es ist eher eine „Koalition des Mißtrauens“ (Süddeutsche Zeitung). So erinnert das Bündnis an eine gescheiterte Ehe, in der die Partner zusammenbleiben und sich arrangieren, weil eine Trennung zu teuer würde.

„Kanzlermehrheit“ spielt keine Rolle

Politik gehorcht einfachen Gesetzen. Das wichtigste ist das jedem Tun innewohnende Streben nach Macht. CDU, CSU und FDP regieren und genießen alle Privilegien ihrer Ämter einschließlich hoher Pensionsansprüche, die mit jedem weiteren Tag im Amt wachsen. Das läßt jeden Rücktritt gut überlegt sein und Merkels ständiges Reden, daß dies oder jenes „alternativlos“ sei, im Lichte des Machterhalts zutreffend erscheinen. Die Alternative heißt Machtverlust, und darüber wußte schon der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering zu berichten: „Opposition ist Mist.“ In einer Reportage aus den Koalitionsreihen zum Euro-Rettungsschirm erkannte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Die Abgeordneten schwanken zwischen Furcht und Folgsamkeit“.

Doch am Ende werden sie an diesem Donnerstag aller Voraussicht nach mit wenigen Ausnahmen der Verlängerung und Erweiterung des Euro-Rettungsschirms zustimmen. Vor dem Hintergrund der rot-grünen Unterstützung spielt die Zustimmungsquote ohnehin keine Rolle mehr. Eine „Kanzlermehrheit“ war für den Rettungsschirm zu keinem Zeitpunkt notwendig. Das Gerede darüber hatte seinen Ursprung in der SPD-Zentrale und wurde von Agenturjournalisten ohne verfassungsrechtliche Kenntnisse weitergetragen.

Die wenigen Gegner werden die Niederlage ehrenvoll ertragen. Frank Schäffler (FDP) und Klaus-Peter Willsch (CDU) verwiesen bereits Anfang der Woche in einem gemeinsamen Beitrag im Focus auf die nicht eingehaltenen europäischen Verträge zum Euro und erinnerten an den Auftritt des Papstes im Bundestag. Benedikt XVI. hatte dort den heiligen Augustinus zitiert: „Nimm das Recht weg – was ist denn ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?“ Die Focus-Redaktion setzte über den Beitrag die an Eindeutigkeit nicht zu überbietende Überschrift „Unter Räubern“. Wer denkt da nicht an Schillers Schauspiel „Die Räuber“ mit der Titelblatt-Zeile „In Tyrannos“?

Der Rettungsschirm wird vergrößert und verlängert – die Fragen bleiben jedoch. Keine Antwort erhielt etwa der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler zum deutschen Anteil am Rettungsschirm. Gauweiler hatte in einer Fraktionssitzung wissen wollen, „ob die Einschätzung der Deutschen Bank zutrifft, daß sich dieser Betrag mit Zinsen und Kosten im worst case auf über 420 Milliarden Euro verdoppeln könnte”. Gauweiler, wie Willsch und Schäffler langjähriger Kritiker der Währungspolitik, will auf dem nächsten CSU-Parteitag einen besonderen Coup landen, indem er als Stellvertreter des glücklos operierenden Seehofer kandidiert. Damit bekommt der Euro-Widerstand in der CSU ein wählbares Gesicht. Es wird spannend, wie die Delegierten entscheiden werden.

Auch in der FDP haben die Mitglieder bald die Wahl. Schäfflers Initiative für einen Mitgliederentscheid über den 2013 anstehenden permanenten Euro-Rettungsschirm ESM dürfte erfolgreich verlaufen. Lehnt eine Mehrheit der FDP-Mitglieder den permanenten Schirm ab, für den Deutschland nicht nur Garantien, sondern auch eine durch höhere Schulden zu finanzierende Bareinlage von 21 Milliarden Euro zu leisten hat, hat Rösler ein Problem: Er müßte in diesem Fall mit der FDP aus der Koalition ausscheiden und auf die harten Bänke der Opposition wechseln, wohin der gesamte europhile Führungskader der FDP keinesfalls will. Noch glaubt Rösler: „Die Euro-Rebellen werden sich nicht durchsetzen.“ Und Brüderle ist überzeugt, daß die Koalition selbst bei einem erfolgreichen Entscheid nicht gefährdet sei. Merkel dürfte der Ausgang des Mitgliederentscheids weitgehend egal sein: Wenn die FDP nicht mehr zur Verfügung steht, nimmt sie sich die SPD als Partner, die sofort wieder in den Zug zur Macht einsteigen würde – allen gegenteiligen Erklärungen zum Trotz.

Dennoch: Trotz aller Mehrheiten im Bundestag wird das Eis für die Bundeskanzlerin von Woche zu Woche merklich dünner.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einer Abstimmung im Bundestag: „Die Euro-Rebellen werden sich nicht durchsetzen“

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