© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Schnelligkeit statt Sicherheit
Marine: Nicht alle Vorschläge zur Verbesserung der Ausbildung auf der „Gorch Fock“ sind praxistauglich
Hans von Stackelberg

Die vorübergehende Stillegung des Segelschulschiffs „Gorch Fock“ nach 52 Jahren weltweiter Anerkennung und über 14.500 erfolgreich ausgebildeten Lehrgangsteilnehmern ist Besorgniserregend. Grund hierfür sind die Ursachen, die zur Stillegung des Schiffes führten: Das Segelschulschiff wurde nicht etwa an die Kette gelegt, weil es für die seemännische Nachwuchsausbildung untauglich geworden ist, sondern weil unser maritimer Nachwuchs teilweise untauglich dafür geworden zu sein scheint, dieses Schiff noch fachgerecht handhaben zu können.

Wobei die Lösung dieses Problems sicherlich nicht in einem „Schiffsumbau für Zaghafte“ zu suchen ist, sondern vor allem in einer deutlich verlängerten und in ihrem Aufbau pädagogisch verbesserten Segelvorausbildung. Besserwisserei und unsachliche Kritik – von welcher Seite auch immer – sollten hier fachlich fundierten und praxisnah realisierbaren Verbesserungen Raum geben.

Der gehaltvolle und mit Sicherheit äußerst hilfreiche „Pommerin“-Bericht enthält die „Gorch Fock“ betreffend jedoch bedauerlicherweise einige wenige fragwürdige Aspekte, so zum Beispiel im Kapitel „Sicherung am Arbeitsplatz“ den Unterpunkt „Aktive und passive Sicherheit an Bord“. Hier muß zunächst festgestellt werden, daß das so oft zitierte „Entern“ kein Selbstzweck als „erdachte Mutprobe“, sondern lediglich der notwendige „Weg zum Arbeitsplatz“ bei der Nutzung der Segel ist.

Die in diesem Zusammenhang an den Wanten im Bericht geforderte Aufstiegssicherung, etwa durch seitliche Sicherungsseile, ist in der Praxis kaum vorstellbar, bei gleichzeitigem Aufentern einer größeren Zahl in der Takelage eingesetzter Lehrgangsteilnehmer (den Rahgasten). Die vorgeschlagenen Konstruktionen verbessern den bestehenden Sicherheitsstandard kaum; das Gegenteil scheint eher wahrscheinlich: Behinderung beim gleichzeitigen Aufentern vieler sowie Stau im Want mit Ermüdung bei schlechtem Wetter und bei niedrigen Temperaturen Unterkühlungen. Auch geht Sicherheit nicht – wie im Bericht betont – immer vor Schnelligkeit, da Schnelligkeit bei Kälte für die Rahgasten sowie bei rasch aufkommendem Schlechtwetter für das Segelschiff lebenswichtig sein kann.

Noch unverständlicher erscheint die Forderung eines Durchstiegs durch die Saling (eine Plattform auf halber Höhe des Mastes), wobei offensichtlich leider kein „Gorch Fock“-erfahrener Fachmann mit Takelagekenntnissen zu Rate gezogen worden ist. Die Salings sind nämlich, aufgrund von dichtstehenden eisernen Verstrebungen zur zusätzlichen Stabilisierung der Masten (den sogenannten „Püttingswanten“) von unten her gar nicht erreichbar, was einer Kommission mit Fachkompetenz eigentlich schon bekannt sein sollte.

Natürlich gibt es andere Segler, deren Takelagekonstruktion einen Durchstieg in der Saling vorsieht. In der „Gorch Fock“-Klasse ist das bei den zahlenmäßig starken Lehrgängen aber bewußt unterblieben, da so ein, für jeweils eine Person vorgesehener – bei starker Schiffsbewegung sehr unerfreulicher – Durchstieg beim Aufentern einer größeren Zahl von Rahgasten (besonders bei Schlechtwetter und Kälte) zum gefährlichen, um nicht zu sagen unverantwortlichen Stau im Want führen würde. Außerdem würde die ohnehin beengte Stehfläche auf den Salings bei einem beidseitigen Durchstieg mit zwei bei Dunkelheit und schlingerndem Schiff gefährlichen Öffnungen zur zusätzlichen Gefahrenquelle werden.

Was die Anregung, die Rahen mit Beleuchtung auszustatten, anbelangt, so ist auch dies bedenklich: Der übliche Vorgang, die neu aufziehende Seewache nachts 15 Minuten vor Wachwechsel an Oberdeck zu holen, damit die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen konnten, genügte bisher völlig, um bei Dunkelheit (von sehr seltenen Ausnahmen abgesehen) in der Takelage arbeiten zu können, soweit die Segel nicht ohnehin schon vorsorglich zu Beginn der Dunkelheit gekürzt wurden. Zusätzliche Lichtnutzung war nachts, da sicherheitsgefährdend aufgrund von Nachtblindheit beim Abwenden von der Lichtquelle, sowohl bei den Rahgasten in der Takelage als auch bei allen an Deck davon Betroffenen eine stete Gefahrenquelle, und daher war auch der Einsatz von Taschenlampen untersagt. Es scheint somit geraten, eine geplante derartige Nutzung nur sehr gezielt zum Einsatz zu bringen.

Während meines Mitsegelns auf Einladung der Schiffsführung des Segelschulschiffes „Eagle“ der U.S. Coast Guard kam die im Bericht erwähnte Beleuchtung der Rahen nur als Illumination in den Häfen zum Einsatz und war ansonsten ausschließlich für dringende Ausnahmefälle vorgesehen.

 

Hans Freiherr von Stackelberg, Kapitän a. D., war von 1972 bis 1978 Kommandant der „Gorch Fock“.

 

Pommerin-Kommission

Die sogenannte Pommerin-Kommission unter Leitung des Historikers Reiner Pommerin hat im Auftrag des Verteidigungsministeriums Vorschläge erarbeitet, wie die seemännische Ausbildung an Bord des Segelschulschiffs „Gorch Fock“ verbessert werden kann. Nach Ansicht des früheren Kommandanten des Schiffs, Hans von Stackelberg, sind manche der Vorschläge allerdings nicht praxistauglich.

Foto: Die „Gorch Fock“ unter vollen Segeln, Kapitän von Stackelberg: Nachwuchs teilweise untauglich

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