© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Geflüchtet und untergetaucht
Illegale Einwanderung: Einwohner von Lampedusa fühlen sich von Rom im Stich gelassen
Paola Bernardi

Die Prozession bewegte sich langsam in Richtung Meer: Lampedusa, die winzige Mittelmeerinsel, beging am letzten Wochenende im September das alljährliche Patronatsfest. Hoch schwebte die Statuette der Madonna di Porto Salvo, über den Gläubigen. Zwar donnerten die Salutschüsse, zwar spielten die Kapellen, doch der große Schatten, der noch über dieser Insel liegt, ließ sich nicht verwischen.

Die Saison war noch nie so schlecht wie in diesem Jahr. Trotz aller Sonderangebote blieben die Touristen weg. Zeitweilig waren mehr Boatpeople interniert als die 5.000 Bewohner auf der nur 20 Quadratkilometer großen Insel. Und noch immer herrscht Angst und Wut in der Bevölkerung vor. Der Schock war groß, als das Auffanglager für Flüchtlinge und illegale Einwanderer von den Insassen in Brand gesteckt wurde. Als diese dann mit Stöcken und gestohlenen explosiven Gasbehältern bewaffnet durch den Ort rannten, plünderten und die Bevölkerung bedrohten, kippte jede Sympathie.

Dieser jüngste Gewaltausbruch hat die Atmosphäre auf der Mittelmeerinsel endgültig verändert. Der Bürgermeister von Lampedusa, Dino De Rubeis, von der rechten Mitte, der sich zuerst noch aufgeschlossen gegenüber den Illegalen zeigte, ja die Bevölkerung wieder und wieder ermahnte, „großzügig gegenüber den Ärmsten der Armen zu sein“, bewegt sich nur noch mit Personenschutz auf die Straße und hat in seinem Büro griffbereit Golfschläger zur eigenen Sicherheit postiert. Denn, „was wir vorausgesehen haben, ist eingetreten“, so De Rubeis. „1.500 Verbrecher, ausgebrochene Sträflinge aus Tunesien, hatten sich befreit und drangsalierten die Bevölkerung.“

Allein in den letzten sieben Monaten seien 52.000 Personen übers Meer nach Lampedusa gekommen. „Junge Männer, die vor nichts zurückschrecken, um ihren Traum in Europa, vor allem in Frankreich, zu verwirklichen“, erklärt De Rubeis und sieht sich mit den Inselbewohnern im Einklang. Doch die sind desillusioniert und mißtrauen Roms Ausländerpolitik.

Rom schickte zwar Flugzeuge und Schiffe und verteilte die Migranten auf andere Lager, um sie von dort aus in ihre Heimat nach Tunesien abzuschieben. Doch die Bevölkerung bleibt gegenüber Ankündigungen, die Kontrolle auf See zu verstärken, skeptisch: „Wir werden selber mit unseren Schiffen die Ankommenden blockieren, wir werden unsere Küste selber um jeden Preis verteidigen“, erklärte der Restaurantbesitzer Giacomo Sanguedolce.

Derweil verhandelt Außenminister Franco Frattini, um Tunesien mit „Hilfsangeboten“ zum besseren Grenzschutz zu animieren, und die Agenturen melden, daß 80 Tunesier, die aus Lampedusa nach Rom transportiert worden waren, geflüchtet und untergetaucht seien.

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