© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Merkel ohne Alternative
Euro-Krise: Ein skurriler CDU-Leitfaden zu aktuellen Fragen bietet nur klägliche Antworten und Ausflüchte
Wilhelm Hankel

Jeder Anwalt weiß: Eine klägliche Sache kann man nur kläglich vertreten. Davon konnte sich die Nation im Gespräch der Kanzlerin mit Günther Jauch überzeugen. Dasselbe gilt auch für das CDU-Aufklärungspapier zum Euro. Es verrät den Unionsabgeordneten, wieviel sie bislang Wählern und Steuerzahlern an Zahlungen für die EU zugemutet haben: jedem Bundesbürger pro Kopf und Jahr 134 Euro – netto!

Was ist das schon, gemessen an dem, was sich die Partner in den Niederlanden (267 Euro), auf Zypern (249 Euro) oder Malta (231 Euro) die Vorteile des gemeinsamen Binnenmarktes oder die Förderung benachteiligter Randgebiete kosten lassen: von Vorpommern bis Sizilien. Doch die Bevölkerungszahl der Mittelmeerinsel Malta entspricht in etwa dem Mitgliederstamm der CDU, Zypern ist mit dem Saarland zu vergleichen.

Doch das ist die Vergangenheit. Die Zukunft sieht anders aus, denn jetzt muß der Euro, „dieses Musterbeispiel an Stabilität“ (Wolfgang Schäuble 1998) „gerettet“ werden. Und was die Rettungsfonds EFSF und der ihn ablösende „Krisenfonds“ ESM den deutschen Steuerzahler pro Kopf letzlich kosten werden, verrät uns die Partei Ludwig Erhards nicht. Dazu heißt es ebenso lapidar: „Eine Transferunion wird es nicht geben.“ Oder: „Jedes Land ist für seine Schulden selbst verantwortlich.“

Dabei gesteht die CDU einige Seiten zuvor bei der Vorstellung des EFSF bereits ein: „Deutschlands Garantieanteil erhöht sich von derzeit rund 120 Milliarden Euro auf rund 211 Milliarden.“ Beim ESM „verringern sich die deutschen Garantien wieder auf rund 196 Milliarden Euro. Davon sind knapp 22 Milliarden Euro Bareinlagen, die im Euro-Rettungsfonds EFSF nicht vorgesehen sind“, heißt es weiter. Bereits das sind pro Kopf und Bürger 268 Euro. Doch dieser Betrag erhöht sich auf das Neunfache, sollten die übernommenen Bürgschaften fällig werden, woran leider kein Zweifel besteht. Denn dann stünde jeder Bundesbürger mit maximal 2.573 Euro (EFSF) bzw. 2.390 Euro (ESM) in der Haftung – mit seinem hart erarbeiteten Geld, seinem für den Lebensabend zurück gelegten Sparkonto und dem für seine Enkel hinterlegten Erbe.

Deutschlands Bürger und Steuerzahler haben einen Anspruch darauf, von der Partei ihrer Wahl überzeugt zu werden, daß die ihnen zugemutete Belastung Rechtens ist, den gewünschten Erfolg zeitigen und durch ihren permanenten Anstieg sie nicht an den Bettelstab bringen wird. Wird sie doch als eine zeitlich und betragsmäßig unbegrenzte Dauerbelastung für eine unabsehbare Ewigkeit institutionalisiert – denn was anders ist der „permanente Europäische Stabilitätsmechanismus“ (ESM)?

EFSF und ESM sind nichts anderes als ein neuer „Soli“ für Europa und seinen Euro, zusätzlich zu dem alten für die frühere DDR! Doch an der Begründung für den Euro-Soli hapert es gewaltig. Uninspiriert tischt das CDU-Papier die dutzendfach widerlegten Pseudo- und Lobby-Argumente der Euro-Debatte wieder auf. Nichts fehlt: die angeblichen Vorteile eines Global-Player-Europa, der Nutzen für Deutschland, wenn es seine Ersparnisse Europa zur Verfügung stellt, statt sie im eigenen Haus für Infrastruktur, Mittelstand, Bildung und Soziales zu verwenden. Und nicht zu vergessen der Frieden in Europa, den die gemeinsame Währung stiftet, obwohl der Streit um sie das genaue Gegenteil bezeugt.

Das CDU-Papier ist das getreue Abbild einer Partei, der zu den drei brennendsten Problemen der Nation: dem Fortbestand der Demokratie, dem Erhalt der Wirtschaftskraft des Landes und der Zukunft der nachfolgenden Generationen nichts einfällt als die Versicherung, ein neuer „Euro-Plus“-Pakt werde das alles aufs Schönste regeln. Dabei nimmt die Kanzler-Partei stillschweigend in Kauf, daß dieser Pakt auf Rechtsbruch gegenüber dem alten beruht und daß er statt des Konkurses der Staaten den ihrer Banken verhindert – denn die Schulden der Staaten bleiben erhalten; nur die die Forderungen der Banken werden von Rettungs- und Krisenfonds übernommen, Bürger, Sparer und Steuerzahler der Garantiestaaten dürfen sie tilgen!

Folgerichtig ist in dem neuen EU-Vertrag auch nirgendwo vermerkt, daß er selbst nach dem Urteil Bundesverfassungsgerichts zuvor dem Volke vorgelegt und von ihm legitimiert werden muß. Nur: Die Verfasser wissen warum. Was danach folgt, ist Behauptung ohne jeden Beweis. Gut: Die Euro-Union habe ihre Mitglieder nicht vor der Krise geschützt, was sie ja sollte, wenn man die früheren Aussagen Wolfgang Schäubles und erst recht die Sprüche des Euro-Apologeten Waigel für bare Münze nimmt.

Schuld an der Krise sei nicht die Währungsunion und die von ihr ausgehende entdisziplinierende Wirkung auf die Mitgliedsländer, sondern lediglich das gelegentliche Foul-Spiel einzelner Partner: „Griechenland ist ein Sonderfall“, heißt es. „Portugal hat jahrelang wesentlich mehr ausgegeben, als es eingenommen hat.“ Irland leide unter „den Folgen einer Kredit-und Immobilienblase“, bei Spanien und Italien „gehen die Experten“ nicht davon aus, „daß eines der Länder in der Zukunft Finanzhilfen beantragen muß“. Und das, obwohl die EZB mit ihren Anleihekäufen die Zinskosten dieser Länder drückt und drückt.

Wer so naiv argumentiert, beweist, wie wenig er vom systemischen Charakter und Hintergrund der Euro-Krise versteht. Warum haben die Euro-Sünder ausdauernd und rechtswidrig gesündigt? Und Frankreich und Deutschland gelegentlich auch? Warum knickten die drei Säulen der Währungsunion (Stabilitätspakt, No-Bailout-Klausel und die auf strikte Inflationsbekämpfung vereidigte EZB) bereits in den Vorstadien des Orkans ein, wie Bäume mit zu flachen Wurzeln? Die Antwort ist einfach: Weil die Euro-Verfassung weder bei Schönwetter noch bei Schlechtwetter Schutz bot. Weil kein Mitgliedsland davor zurückschreckte, sie im Bedarfsfalle einseitig und zum eigenen Vorteil zu mißachten. Und das stets in Richtung Inflation – sei es bei der inflatorischen Finanzierung von Blasen, von Etatdefiziten oder der Konkursverschleppung von Staaten und Banken.

Mit dem Euro war niemals Staat zu machen. Und wenn das EU-Traumpaar Merkel/Sarkozy den (Kurz-)Schluß daraus zieht, dann müsse man den Euro selber zum Staate machen – denn genau das geschieht mit Transferunion, Finanzausgleich, Wirtschaftsregierung und der Entsendung von „Troikas“ zur Kontrolle der Budgetpolitik in den Schuldenländern – dann hat die Krise zwar die EU (in ihrem Jargon) „vorangebracht“.

Erreichen aber wird sie damit nur die Zentralisierung der bislang regional und national unterschiedlich verlaufenden und daher auch nur so bekämpfbaren Krisenverläufe, also genau jenen Zustand, an dem die einstmals mächtige Sowjetunion vor zwei Jahrzehnten zusammengebrochen ist! Das CDU-Papier ist der Offenbarungseid für die Ausgebranntheit dieser Partei. Jetzt versteht man, warum Kanzlerin Angela Merkel ihre Politik für „alternativlos“ hält. Ihre Parteifreunde kennen keine andere!

Das CDU-Argumentationspapier „Für einen stabilen Euro und Wohlstand in Europa – Fragen und Antworten“ im Internet:

www.cdu.de

Foto: Merkels gescheiterte Euro-Aufklärung: Die CDU-Zentrale liefert ein Dokument der Ratlosigkeit in einer verfahrenen Situation

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