© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Die Alarmglocken schrillen
Euro-Rettungsfonds ESM: Eine kritische Analyse des ersten Vertragstextes offenbart unglaubliche Risiken für den deutschen Steuerzahler
Bernd-Thomas Ramb

Der dauerhafte Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll spätestens ab 2013 den bisherigen Euro-Rettungsfonds EFSF ablösen. Der bislang offiziell geheimgehaltene ESM-Vertragsentwurf offenbart im Vergleich zum EFSF zusätzliche eklatante Schwächen und gefährliche Fallstricke.

Zur Begründung der permanenten Euro-Rettung wird angeführt:

Grundlage (Absatz 11)

Der ESM wird, wie der IWF auch, einem Mitgliedstaat finanzielle Unterstützung gewähren, wenn dessen regulärer Zugang zur Finanzierung über den Markt beeinträchtigt ist.

Die nähere Definition, unter welchen Umständen der „reguläre Zugang zur Finanzierung über den Markt beeinträchtigt ist“, unterbleibt. Im eigentlichen Vertrag wird aus dieser Vorgabe:

Artikel 3 (Zweck)

Zweck des ESM ist es, Finanzmittel zu mobilisieren und den ESM-Mitgliedern, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, unter strikten wirtschaftspolitischen Auflagen eine Finanzhilfe bereitzustellen, (…) um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren.

Es fehlen nicht nur nähere Definitionen, was unter „schwerwiegenden Finanzierungsproblemen“ zu verstehen ist, es reicht schon die Vermutung, daß solche entstehen könnten. Ebenso fehlt eine Definition, wann die Stabilität des Euro-Währungsgebietes nicht mehr gewahrt ist. Bei bürgerkriegsähnlichen Unruhen? Wenn ein Mitglied droht, aus dem Euro auszusteigen? Symptomatisch für die eigenmächtige Ausweitung der ursprünglichen Aufgabenstellung ist der

Artikel 8 (Grundkapital)

1. Das Grundkapital beträgt 700 Milliarden Euro.

In der vorangestellten Begründung des ESM-Vertrags heißt es noch:

Grundlage (Absatz 11)

Das anfängliche maximale Kreditvergabevolumen des ESM nach dem vollständigen Auslaufen der EFSF beträgt 500 Milliarden Euro.

Der Anteil Deutschlands an diesem Grundkapital berechnet sich nach dem Anteilsschlüssel zum Grundkapital der Europäischen Zentralbank (EZB), beträgt somit 27,1 Prozent, also über 190 Milliarden Euro. Zu Beginn soll eine Gesamteinlage in Höhe von 80 Milliarden Euro erfolgen. Deutschland hat somit bis Juli 2013 21,7 Milliarden Euro zu überweisen. Beschwichtigend wird in diesem Artikel weiter formuliert:

Artikel 8 (Grundkapital)

5. In jedem Fall ist die Haftung jedes ESM-Mitglieds auf seine Einlage auf das Grundkapital zum Emissionskurs beschränkt. Kein ESM-Mitglied haftet aufgrund seiner Mitgliedschaft für die Verpflichtungen des ESM. Die Verpflichtung der ESM-Mitglieder, gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags eine Einlage zu leisten, bleibt unberührt von [einer Änderung der Umstände eines ESM-Mitglieds dahingehend, daß es] die Voraussetzungen für eine vom ESM zu gewährende Finanzhilfe erfüllt oder eine solche Hilfe bereits erhält.

Mit anderen Worten: Platzt einmal der ESM, verliert Deutschland auf jeden Fall bei voller Einzahlung seines Anteils 190 Milliarden Euro. Der zweite Teil des Absatzes bedeutet zudem im Endeffekt nichts anderes als das: Wenn ein Mitglied bereits Hilfen aus dem ESM erhält, gewährt der ESM zusätzliche Kredite für die Einzahlung seiner ESM-Anteile. Das ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil dieses Mitglied dann nicht sein Stimmrecht verliert.

Bei der Beschreibung der Prinzipien wird scheinbar der Artikel 3 (Zweck) weiter verschärft:

Artikel 12 (Prinzipien)

[1.] Wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren, stellt der ESM für ESM-Mitglieder eine Finanzhilfe bereit, die unter strikten Auflagen gemäß einem makroökonomischen Anpassungsprogramm gewährt wird, das dem Ausmaß der wirtschaftlichen und finanziellen Ungleichgewichte des betreffenden ESM-Mitglieds angemessen ist.

Bei genauer Betrachtung liegt jedoch ein Aufweichen vor. Das „makroökonomische Anpassungsprogramm“ soll dem „Ausmaß der wirtschaftlichen und finanziellen Ungleichgewichte (…) angemessen“ sein. Im Klartext: Dieses Land darf weiter Haushaltsdefizite ausweisen und damit zusätzliche Schulden machen, die vom ESM finanziert werden. An dieser Tatsache ändert auch der nachfolgende wortreiche Absatz nichts:

[2.] Erhält ein ESM-Mitglied eine Finanzhilfe, wird je nach Einzelfall und entsprechend der Praxis des IWF eine Beteiligung des Privatsektors in angemessener und verhältnismäßiger Form erwartet. Art und Ausmaß dieser Beteiligung sind abhängig vom Ergebnis einer Schuldentragfähigkeitsanalyse und tragen dem Ansteckungsrisiko und potentiellen Übertragungseffekten auf andere Mitgliedstaaten und Drittländer gebührend Rechnung. (…) Kommt man zu dem Schluß, daß ein makroökonomisches Anpassungsprogramm die Staatsverschuldung realistischerweise nicht auf ein langfristig tragbares Niveau zurückführen kann, so muß der begünstigte Mitgliedstaat mit seinen Gläubigern bona fide aktive Verhandlungen aufnehmen, die darauf abzielen, sie unmittelbar in die Wiederherstellung einer tragbaren Verschuldung einzubeziehen.

Insbesondere bleibt die Beteiligung der privaten Gläubiger im Nebulösen. Der ESM-Vertrag redet sich hier schlichtweg um seinen Geist. Die folgenden Artikel ermächtigen den ESM zur Vergabe von Krediten:

Artikel 14 (Stabilitätshilfe des ESM – ESS)

1. Der Gouverneursrat kann beschließen, ein ESM-Mitglied mit Finanzhilfen in Form eines als kurz- oder mittelfristige Stabilitätshilfe gewährten Darlehens (…) zu unterstützen.

Besonders brisant ist die Ermächtigung des ESM zur zusätzlichen Aufnahme von Krediten auf eigene Rechnung:

Artikel 17 (Aufnahme von Krediten)

1. Der ESM ist ermächtigt, zur Erfüllung seiner Aufgaben auf den Kapitalmärkten Kredite von Banken, Finanzinstituten oder sonstigen Personen oder Einrichtungen aufzunehmen.

Damit kann der ESM sein Kreditvergabevolumen weit über die Einlagensumme der Mitgliedsstaaten ausweiten. Die Einlage von 700 Milliarden stellt somit nur das Grundkapital dar, auf dessen Basis der ESM den internationalen Kreditmarkt kräftig aufmischen kann. Der ESM tritt damit in Konkurrenz zu anderen Kreditsuchenden, etwa Firmen oder solventen Staaten, wie Deutschland. Da der ESM frei in seinen Zins­angeboten ist, wird er höhere Zinsen anbieten können und damit das Zinsniveau auf den Finanzmärkten anheben.

Was passiert aber, wenn der ESM Verluste machte? Wenn er seine Kredite nicht zurückerhält, er aber die selbst aufgenommenen Kredite zurückzahlen muß? Die Regelung wird nicht ausreichen, wenn die Verluste das Grundkapital von 700 Milliarden übersteigen:

Artikel 21 (Deckung von Verlusten)

1. Bei den Geschäften des ESM entstehende Verluste sind zu verrechnen

(a) erstens mit dem Reservefonds,

(b) zweitens mit dem eingezahlten Kapital und

(c) schließlich mit einem angemessenen Betrag des genehmigten, nicht eingezahlten Grundkapitals (…).

Wie überhaupt im Entwurf des ESM-Vertrags eine Regelung fehlt, was passiert, wenn der ESM aufgelöst werden muß. Scheinbar ist der ESM für die Ewigkeit konzipiert, wie der Euro generell. Eine Austrittsmöglichkeit besteht ebensowenig wie eine Auflösungsmöglichkeit.

Der Hauptkritikpunkt am ESM-Vertrag setzt an der Stimmrechtsverteilung und an den Beschlußquoten an. Zunächst klingt alles sehr deutschlandfreundlich. Deutschland besäße 27,1 Stimmanteile. Da die wichtigsten Beschlüsse eine qualifizierte Mehrheit von 80 Prozent erfordern, bekäme Deutschland quasi ein Vetorecht: Gleiches gilt auch für Frankreich mit seinen 20,4 Stimmen. Andererseits benötigt Deutschland Verbündete, um auf 80 Prozent zu kommen. Hat es Italien (17,9) und etwa Griechenland (2,8 Stimmanteile) gegen sich, kann Deutschland sich nicht durchsetzen. Noch schlechter wird es in Streitfällen:

Artikel 32 (Auslegung des Vertrags und Streitbeilegung)

1. Alle Fragen bezüglich der Auslegung oder Anwendung (…) des ESM (…) werden dem Direktorium (…) vorgelegt.

2. Bei Streitigkeiten (…) entscheidet der Gouverneursrat. Das Stimmrecht der Gouverneursratsmitglieder der betroffenen ESM-Mitglieder wird für diese Entscheidung ausgesetzt und die für die Annahme der Entscheidung erforderliche Stimmrechtsschwelle wird entsprechend neu berechnet.

Liegt Deutschland im Streit mit einem kleinen Mitgliedsland, wird sein Stimmrecht außer Kraft gesetzt. Die anderen beschließen dann (etwa wenn es ums Bezahlen geht) über die Köpfe der Deutschen hinweg – und sie können nicht zur Rechenschaft gezogen werden:

Artikel 30 (Immunitäten von Personen)

1. Die Gouverneursratsmitglieder, stellvertretenden Gouverneursratsmitglieder, Direktoren (…), der Geschäftsführende Direktor und das Personal genießen Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich der in ihrer amtlichen Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit in Bezug auf ihre amtlichen Schriftstücke (…).

Immunität bedeutet für die ESM-Führung keine Klagen wegen Untreue, Diebstahl, Raub und keine Klagen auf Schadensersatz. Aber was passiert, wenn sie grobes Unrecht tun? Sind sie dann genauso geschützt, wie demokratisch gewählte Volksvertreter?

Artikel 31 (Befreiung von der Besteuerung)

5. Das Personal des ESM unterliegt für die vom ESM gezahlten Gehälter (…) einer internen Steuer zugunsten des ESM. Ab dem Tag der Erhebung dieser Steuer sind diese Gehälter und Bezüge von der staatlichen Einkommensteuer befreit.

Hierzu ist ein Kommentar überflüssig.

Inoffizielle Arbeitsübersetzung des Entwurfs für einen Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM):

www.peter-bleser.de

Kurzfilm der „Zivilen Koalition“ zum ESM: www.youtube.com/watch?v=8kmcloVZu1o

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen