© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/11 / 30. September 2011
CD: H. Schneider Wer Helge Schneider immer noch für einen musikalischen Clown oder einen Slapstick-Komödianten hält und sich darum den leibhaftigen Darbietungen bisher nicht ausgesetzt hat, der kann anhand einer Aufzeichnung aus dem Berliner Admiralspalast („Komm hier haste ne Mark!/Live“) erkennen, daß hier ein tiefsinniger und feinnerviger Humorist zugange ist, der weniger zwischen die Zeitgeist-Blödelheinis der Unterhaltungsindustrie gehört, als in die Traditionslinie der kosmischen Narren Rabelais, Sterne und Jean Paul. Dieser Improvisator verfügt über enzyklopädisches Wissen und enorme musikalische und darstellerische Fertigkeiten. Auch auf der Blockflöte trällert er atemberaubend und fragt nebenbei, warum dieses schöne Instrument im Showbusiness so selten ist, zum Beispiel bei Tokio Hotel: „… zumal die die Gesichter dafür haben.“ Er musiziert seine Rede und spricht durch den Klang der Instrumente, mit denen er geradezu zentaurisch verbunden scheint. Die musikalisch erfüllende Blütezeit mit seiner Ur-Band „Hardcore“ endete 2000. In der Sieben-CD-Box „Fantasie in Blau“ werden die vier wichtigen Alben dieser Periode nun noch einmal gebündelt. Auf der Bühne des Admiralspalasts erscheint er mit einem lautlosen Stepptanz. Er wirkt schlaksig und jung wie vor zwanzig Jahren. Wie er das Publikum dirigiert, hochmütige Bescheide erteilt und unerträgliche Spannungen provoziert, erinnert an „Hüpffroschs Rache“ von Edgar Allan Poe: Ein gedemütigter Sonderling, dessen verborgene Qualitäten einst abgewiesen wurden, verschafft sich grausame Genugtuung. Wie bei den großen Clowns von Karl Valentin bis Oleg Popow wird auch bei Helge düster grundiert. Doch die positiven Aspekte überwiegen. Seine versierten Musikerkollegen: Schlagzeuger Pete York, der Gitarrist Sandro Giampetro und zwei weitere, gelassen und souverän musizierende Senioren an Klavier und Kontrabaß machen eine Klubmusik, die alle guten und musikantischen Seiten des Jazz bündelt. Die verbalen Gags sind da nur die Dressurpeitsche, mit der das Publikum zur Aufmerksamkeit gezwungen wird gegenüber den Jazz-Klassikern von Duke Ellington und anderen. Ein „Nonsleeper-Blues“ auf der akustischen Gitarre über eine schlaflose Nacht, ein leidenschaftlich flackerndes spanisches Lied und ein französisches Chanson heilen die Fragwürdigkeit des wurzellos gewordenen Lokalkolorits durch seriöse Persiflage. In der Nachahmung entsteht aus einer verlogenen Schein-Originalität etwas Echtes: Musik von Helge Schneider. Sein Credo, den Sinn im Unsinn zu entdecken, ist geradezu ein Synonym für das Ernstnehmen von Jazz als Musik. Aber so wie Schneider es tut, muß der aufmerksame Zuschauer und -hörer ihm beipflichten. Die unaufrichtige U-Musik bekommt durch ihren schöpferischsten Analytiker eine gewisse selbständige Würde verliehen. Schneider geht es um den Kairos des musikalischen Augenblicks. Er liefert das Satyrspiel zur Tragödie der Langeweile. Wenn er den Moment mit beiläufigen Ansagen ins Unerträgliche dehnt, führt er als Bühnenmagier das eigentliche Element des Musikalischen vor: Die Zeit, in der sich die Klänge entfalten und vergehen. Für dieses Gefühl steht er während seinen Tourneen Abend für Abend auf der Bühne. |