© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Ein deutsches Martyrium
Der Wehrmachtsoffizier Wilm Hosenfeld war ein stiller Held gegen verbrecherische Auswüchse im besetzten Polen / 1952 starb er elend im sowjetischen Gulag
Johannes Wilhelm

Am 13. August 1952 starb der Wehrmachtsoffizier Wilm Hosenfeld nach einer mehr als siebenjährigen Odyssee im sowjetischen Lagersystem. Er hatte mehrere Juden und einen Priester vor dem sicheren Tod bewahrt und den eigenen als Sühnopfer für Deutschland verstanden. Einem breiteren Publikum wurde Wilm Hosenfeld eher beiläufig durch den Film „Der Pianist“ (2002) von Roman Polanski bekannt, der neben drei Oscars mehrere internationale Filmpreise gewann. Der Film handelt von dem prominentesten der von Wilm Hosenfeld vor dem Tod Geretteten, dem polnisch-jüdischen Komponisten Władysław Szpilman. Die Figur dieses Offiziers taucht im Film jedoch nur in kurzen Ausschnitten auf.

Rein äußerlich sticht der 1895 geborene Hosenfeld nicht aus dem Heer deutscher Soldaten hervor. Nach jugendlicher Prägung durch den „Wandervogel“ und ersten militärischen Erfahrungen im „Großen Krieg“ wurde er Dorflehrer, heiratete als Katholik eine junge Frau aus einer evangelischen Theologen- und Künstlerfamilie und gründete mir ihr seine später siebenköpfige Familie. Er führte als Lehrer „neuartige“ pädagogische Methoden ein, die stets auf den Menschen als Individuum abgestellt waren. Seine Fähigkeit zur Menschenführung zeigte sich sowohl in der Volksschule vor Kindern, wie auch später als Kursleiter bei Lehrgängen für Wehrmachtssoldaten.

Seine Vaterlandsliebe war durch den Versailler Vertrag sehr verletzt worden, so daß ihm im aufkommenden Nationalsozialismus zunächst ein Ausweg aus der deutschen Erniedrigung gewiesen zu sein schien. Gerade aber die Manipulation des einzelnen, die er bei einer Reise zum Reichsparteitag nach Nürnberg erlebte, sowie die stark antichristliche Ausprägung der neuen Ideologie verursachte seine steigernde Ablehnung. 1939 wurde er schließlich einberufen. Nach dem Sieg über Polen wurde er Sportoffizier und initiierte eine Ausbildungsschule mit Lehrgängen für die Oberfeldkommandantur der Wehrmacht in Warschau. Allerdings wurde er an der Weichsel auch Zeuge des Warschauer Aufstandes und dessen Niederschlagung. Gespräche mit verfolgten Polen und Juden und erschütternde Erlebnisse rüttelten ihn auf.

Er reagierte darauf mit dem erfolgreichen Versuch, durch das Ausstellen falscher Papiere verfolgte Juden und Polen im Stadion als Hilfsarbeiter anzustellen und somit vor dem sicheren Tod zu retten. Eine Person rettet er gar ein zweites Mal: Sie war bei einer der willkürlichen Vergeltungswellen auf einen Lastwagen geladen worden und sollte mit anderen Geiseln erschossen werden. Der Hauptmann d. R. Hosenfeld erkannte im Vorbeifahren das Gesicht, hielt den Wagen an und bedung sich eine Hilfskraft aus den Todgeweihten aus. Den Tod anderer und den eigenen stets vor Augen lebte er im stillen Bewußtsein, selbst Teil eines Volkes zu sein, dessen Name mit den erlebten Untaten besudelt wurde.

Seine Reaktion darauf war neben dem gefährlichen humanitären Engagement eine beharrliche Innerlichkeit, die Hosenfelds Religiosität vertiefte. Nun bat er Gott, selbst durch Gebet und Opfer für sein geliebtes deutsches Volk einstehen und etwas von der großen Schuld tilgen zu dürfen. Wenngleich heute der Gedanke der Stellvertretung im Geistlichen (Sühne) vielen überholt oder sinnlos erscheint, so ist er doch tief mit dem christlichen Glauben verwachsen. Die Christen glauben nicht nur an das stellvertretende Leiden Jesu Christi, sondern auch an die eigene Fähigkeit und Berufung dazu (Kol 1,24). Diese Verankerung im katholischen Glauben und der Wille zur Wiedergutmachung im Praktischen wie im Geistlichen schenkten Hosenfeld eine innere Haltung und Ruhe.

Während der Einnahme Warschaus durch die Rote Armee wird Hosenfeld gefangengenommen und nach Minsk deportiert. Dort bezichtigt man ihn der antirussischen Agententätigkeit und folterte ihn fast ein halbes Jahr, um an brisante Informationen zu kommen. Der daraufhin einen Schlaganfall Erleidende wird wegen vorgeblicher Kriegsverbrechen zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren verurteilt und muß seinen Leidensweg im Gulag-Imperium antreten, wo er 1952 in der Nähe von Stalingrad stirbt.

Das Beeindruckende an Hosenfeld ist der unbedingte Wille, das Gute zu tun – gegen alle Gefahren, Widerstände und Ängste. Daß er dabei vollkommen allein auf sich gestellt war und nicht eine Person hatte, auf die er sich in Warschau hätte stützen können, macht sein Wirken noch hervorstechender. Obwohl er gefährliche Regimekritik in unzähligen Briefen und Notizen übte, weihte er aus Vorsicht seine geliebte Frau nie in seine Tätigkeiten ein. Erst im November 2008 würdigte man Hosenfeld in Israel, indem man ihn posthum zum „Gerechten unter den Völkern“ ernannte.

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