© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Das Ringen um die Freiheit
Die Denkwelt Friedrich August von Hayeks hat in der Gegenwart ihre Aktualität nicht verloren
Klaus Peter Krause

Freiheit ist nicht selbstverständlich. Wo Freiheit herrscht, mußte sie abgerungen, mußte sie errungen werden. Wo sie noch nicht herrscht, findet das Abringen und Erringen immer noch statt. Gerungen werden muß um Freiheit stets – auch dort, wo sie besteht, denn bedroht und gefährdet ist Freiheit immer. Wenn man glaubt, Freiheit zu besitzen, verführt das zur Trägheit, das Bedrohende der Gefahr wahrzunehmen. Freiheit geht leicht und oft auf schleichende Weise dahin. So wähnen sich viele noch frei, und haben an Freiheit doch schon verloren. Zu viele erkennen den Wert der Freiheit erst dann, wenn sie abhanden gekommen ist. Daß es gilt, errungene Freiheit zu bewahren, will erkannt, will gelernt sein. Bücher helfen dabei. So auch das Buch mit dem Titel „Das Ringen um die Freiheit“.

Es ist eine respektvolle Verbeugung vor dem großen liberalen Nationalökonomen und Sozialphilosophen Friedrich August von Hayek und dessen Standardwerk „Die Verfassung der Freiheit“. 2010 war es fünfzig Jahre her, daß es erschien. Das gab und gibt Anlaß zu fragen: In welcher Verfassung sind wir und unsere Freiheit – heute? Der vorliegende Band enthält hierzu Beiträge von sechzehn Autoren. Sie alle ranken sich um diese Verfassung der Freiheit Hayeks, gehen von ihr aus, knüpfen an sie an, interpretieren sie, beleben sie, versuchen, sie anschaulich zu machen. Jeder Autor tut es auf seine individuelle Weise, mit seinem Wissen, seiner Belesenheit und aus seiner Erfahrung, wendet die Denkwelt Hayeks auf gegenwärtiges Geschehen an und belegt damit, wie hilfreich seine Denkwelt ist, wie unverwüstlich. Und wie notwendig.

Es ist schwer, alle Beiträge zu würdigen, allen gerecht zu werden, Schlaglichter müssen genügen. Gerhard Schwarz registriert, „wie wenig Staub“ Hayeks Standardwerk von 1960 angesetzt hat, aber auch, welche Themen in ihm zwangsläufig fehlen, weil damals nicht aktuell oder nicht vorhanden, darunter Klimawandel, Terrorismus, drastisch steigende Gesundheitskosten, Alterung der reichen Industriestaaten, die europäische Vereinheitlichung, aber „an oberster Stelle die freiheitsbeschränkende Wirkung der Political Correctness“, ebenso das paternalistische Eingreifen des Staates, inzwischen in fast alle Lebensbereiche.

Mit der sich ausbreitenden „Diktatur der politischen Korrektheit“, mit ihren absurden Sprachregelungen, ihrer so grotesken wie bösartigen Gender-Ideologie und ihrer Verfolgung von Meinungsäußerungen mittels Ausgrenzen, Geldbußen und Haftstrafen, die Freiheit massiv beschränkt, sind die Menschen auf einem neuen Weg in die Knechtschaft, wie Hayek wohl sagen würde. Sie ducken sich weg, halten den Mund. Elisabeth Noelle-Neumann hat das schon früh als „Schweigespirale“ beschrieben.

Andreas Unterberger nimmt sich dieses Übels an. Das Gefühl für den Wert der Meinungsfreiheit gehe in unseren Gesellschaften rapide verloren. Wissenschaftler zum Beispiel, die die Behauptung von der durch Menschen verursachten globalen Erwärmung bezweifelten oder widerlegten, würden boykottiert. Ein internationales Intrigennetz setze wissenschaftliche Zeitschriften unter Druck, um das Veröffentlichen unerwünschter Studien zu verhindern. Dahinter stecken, wie Unterberger zutreffend feststellt, große wirtschaftliche Interessen: „Seit sich die Staaten mit dem Klimathema befassen, fließt viel Geld …“ Ein Ende der Meinungsfreiheit bedeute zwangsläufig das Ende von Rechtsstaat und Demokratie.

Karen Horn stellt die These auf, der evolutorische Prozeß der Wissensteilung habe um so mehr Chancen, die Gesellschaft voranzubringen, je mehr eine bestimmte Disposition bei den Menschen kulturell eingeübt und selbstverständlich verbreitet sei, und diese besondere Disposition sei die Strebsamkeit. Sie meint damit das Streben nach Bildung und Aufstieg. Aber mit Sorge sieht sie es an einzelnen Stellen verblassen, vor allem bei den unteren Bevölkerungsschichten. Diese Benachteiligten strebten aus ihrem Zustand der Ungleichheit gegenüber den oberen Schichten gar nicht mehr heraus, hätten das Interesse an Bildung, gesellschaftlichem Aufstieg und wirtschaftlichem Fortkommen augenscheinlich verloren, seien in Passivität und Apathie verfallen. Diese Menschen richteten sich in der Ungleichheit ein, ihr Dasein dort dauerhaft fristen. Ein besonderes Problem mit erheblichem sozialen Sprengstoff ergebe sich daraus vor allem für die Integration von Einwanderern.

Kritiker und geistige Gegner Hayeks sehen diesen gern als Rechten, als Konservativen, als Libertären, um ihn bequemer abtun zu können. Aber seine Verfassung der Freiheit ist, wie Gerhard Schwarz schreibt, „alles andere als ein radikal-liberales Manifest, sondern sie ist der Versuch, realistische, auf die gewachsenen Strukturen Rücksicht nehmende Lösungen zu entwickeln, die Freiheit lebenswert mache“. Freiheit bedeute für ihn nicht, ohne Regeln zu leben. Schwarz verweist auch auf Hayeks „fulminante Kritik am Konservatismus“. In einem Nachwort kommt Hayek selbst zu Wort, warum er kein Konservativer sei. Daß Hayek kein Libertärer, kein Verteidiger des absoluten, staatsfreien Laisser-faire ist, sondern dem Staat legitime Aufgaben zuweist, zeigt Emmanuel Garessus in seinem Beitrag über „Ein sehr anspruchsvolles Laisser-faire“. Er macht auch darauf aufmerksam, „wie umfangreich der Bereich der staatlichen Aufgaben sein kann, die im Prinzip mit einem freien System vereinbar sind“ und die Hayeks Billigung fänden.

Viktor J. Vanberg befaßt sich kritisch mit der These von Hirnforschern, wonach die Erkenntnis der modernen Neurowissenschaft gängige Vorstellungen von menschlicher Willensfreiheit widerlegten und zu dem Schluß zwängen, das Verhalten des Menschen sei neuronal, also durch physiko-chemische Gehirnprozesse determiniert. Der Mensch sei nicht frei, keiner könne anders, als er sei.

Unter der Überschrift „Die mißbrauchte Macht der Mehrheit“ äußert sich Franz Schellhorn zu den drückenden Schuldenbergen und zur verstaatlichten Währungspolitik. Gerhard Wegner erklärt, warum ein demokratischer Sozialismus eine bloße Fiktion ist und bleiben wird. Für Stephan Balling geht Stabilität vor Wachstum. Wege zu einer stabilen Währung zeigt Peter Kuster auf. Philipp Plickert legt dar, welche Folgen die zweierlei Aufklärung und die zweierlei Auffassung von Freiheit, die französische und die britische, in ihrem Widerstreit auch für das heutige Europa, die Europäische Union, haben und wie sehr das bisherige Ergebnis Hayeks Vorstellungen zuwiderläuft. Andere Autoren sind Robert Nef, Bernd Kramer, Michael Wohlgemuth und Katja Gelinsky,

Isabel Mühlfenzl schreibt über die schöpferische Zerstörung, die Freiheit des Marktes und dessen unsichtbare Hand, die Grenzen der Freiheit, Chancen und Risiken der Globalisierung, die Ungleichheit als den Preis für den Fortschritt, den Traum von der Gleichheit, die Angst vor der Freiheit sowie über den Markt und seine Moral. Der Liberalismus schwebe in Gefahr. Die Kinder der Wohlstandsgesellschaft hätten vergessen, daß man in der Marktwirtschaft auch Pflichten habe und Verantwortung tragen müsse. Gefahr drohe auch deshalb, weil die Jugend zu Gegenwart und Zukunft Fragen habe, die liberale Wissenschaftler häufig nicht zeitgemäß beantworteten: „Sie geben zu häufig alte Antworten auf neue Fragen – zitieren zu oft Beispiele aus der Vergangenheit in einer Sprache, die die junge Generation nicht mehr versteht.“

Gerhard Schwarz, Michael Wohlgemuth (Hrsg.): Das Ringen um die Freiheit. „Die Verfassung der Freiheit“ nach 50 Jahren. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2011, broschiert, 221 Seiten, 40 Euro

Foto: Der österreichische Ökonom Friedrich August von Hayek 1948: Viele wähnen sich noch frei, und haben an Freiheit schon verloren

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