© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Es darf nicht wie Krieg aussehen
Bundeswehr: Zehn Jahre nach Beginn des Afghanistaneinsatzes hat sich die Armee mit der Situation arrangiert
Johannes Meyer

Seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes befindet sich die Bundeswehr in einem ständigen Wandlungsprozeß, der hauptsächlich aus Reduzierungen von Stärke, Standorten und Fähigkeiten besteht. Das ist bis heute die Grunderfahrung aller Bundeswehrangehörigen. Dagegen war nur eine Minderheit im „Einsatz“ und davon eine verschwindend geringe Zahl bereits im Gefecht. Es waren jedoch die Auslandseinsätze in Somalia, dem Balkan und vor allem Afghanistan, die in der Truppe die Hoffnung auf Veränderungen unterstützten, wenn man sich darüber wunderte, welche Themenschwerpunkte durch Politik, militärische Führung und Öffentlichkeit mit Bezug auf die Streitkräfte gesetzt wurden.

Der Satz „Wartet nur, bis die ersten Zinksärge nach Hause kommen“, war eine vielgebrauchte Wendung, um die Hoffnung auf realitätsnähere Ausbildung und bessere Ausrüstung zum Ausdruck zu bringen. Der Satz wird noch heute gerne genutzt, wenn man sich über die Einsatzregeln – rules of engagement – und deren Erläuterung durch die Rechtsberater in der Bundeswehr wundert. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen Notwehr so gedeutet wurde, daß man erst auf sich schießen lassen muß, bevor man selber schießen darf, doch noch immer legt sich die Truppe Erklärungen zurecht, wenn sie auf den flüchtenden Gegner schießt, um ihm nicht die Gelegenheit zum nächsten Versuch zu belassen.

Das jahrzehntelang geübte Kommando „Auf ausweichenden Feind, Feuer frei!“ ist in der deutschen Einsatzrealität keine Selbstverständlichkeit. Auch sollte man besser nicht mehr melden, den Gegner „vernichtet“ zu haben, das heißt den Kampfeswillen des Gegners durch erhebliche Verluste gebrochen zu haben, nachdem es der kritischen Öffentlichkeit durchaus wichtig war, den Fachbegriff des „Vernichtens“ als Besonderheit des von Oberst Klein angeforderten Luftangriffs zu thematisieren und den zielgerichteten Beschuß des Gegners als besonders grausam zu brandmarken oder gar dem Vernichtungsbegriff der Nationalsozialisten gleichzustellen. Wer die Bundeswehr kennt, weiß, daß sie solchen Interpretationen nicht entgegen tritt, sondern sie für die Zukunft ausschließen will.

Deshalb sind die „Lehren aus der Geschichte“ schon lange von der Bundeswehr verinnerlicht. So erfolgte die Beschaffung neuer gepanzerter Fahrzeuge – insbesondere für Afghanistan – nicht nur aus Fürsorge für die Soldaten. Vielmehr galten die vorhandenen Kampf- und Schützenpanzer als zu kriegerisch und somit unpassend für die „friedensschaffenden Einsätze“. Aber auch die Industrie war um Argumente sicher nicht verlegen, denn die angeblich neue Sicherheitsstrategie der „vernetzten Sicherheit“ brauchte neues Gerät.

Daß andere Nationen keine Probleme hatten, ihr Kriegsgerät auch in Friedenseinsätzen zu verwenden, war eine Erkenntnis, die sich deutsche politische und militärische Führer nicht so einfach zu eigen machen konnten. Zu stark war der Wunsch, die Welt in detaillierte Friedenskonzepte zu fassen und dementsprechend zu handeln. Neue Fahrzeuge wurden der Truppe jedoch nicht in genügender Anzahl geliefert. Hunderte Schützen- und Kampfpanzer wurden dagegen verschrottet. In kleiner Anzahl wurde das Kriegsgerät dann doch in die Einsatzländer verlegt, als die Realität des bewaffneten Konflikts es gebot. Immerhin war die Ausbildung etwa auf dem Schützenpanzer Marder in Deutschland uneingeschränkt gewährleistet. Bei den neuen geschützten Fahrzeugen ist das bis heute nicht der Fall.

Trotz dieses die Soldaten gefährdenden Umstandes sind die ausdauerndsten politischen und juristischen Auseinandersetzungen bisher um Soldaten geführt worden, die in ihrem Einsatz tatsächlich oder vermeintlich Unschuldige getötet haben. Monate- bis jahrelange Ermittlungen, Untersuchungsausschüsse und Presseberichte prasselten auf einzelne Soldaten nieder, als deutsche Juristen nach deutschen Friedensgrundsätzen ermittelten und Politiker dazu bestenfalls schwiegen. Der Bundeswehrverband und der Wehrbeauftragte des Bundestages von 2005 bis 2010, Reinhold Robbe, legten dagegen den Finger in manche Wunde und bewiesen damit, daß nicht jeder in den historischen Vorbehalten der Bonner Republik dachte.

Doch Veränderungen sind in einem gesellschaftlichen Umfeld, das den Erlebnissen der wenigen Soldaten in grundsätzlicher Ablehnung gegenübersteht und auch keine Verbindung zur eigenen Lebenswirklichkeit herzustellen vermag, nicht von jetzt auf gleich zu erwarten. Dagegen wechselt das Personal in den Streitkräften schnell; und die disziplinierende Macht der Medien, des Wehrbeauftragten, der Juristen und ihrer politischen Meister sorgt bei jeder Soldatengeneration für den entsprechenden Auswahlprozeß. Zukünftige Kommandeure haben ihre Lektion aus dem Schicksal des Obersten Klein gelernt. Krieg und das, was danach aussehen könnte, ist nicht gewollt – egal wie der Auftrag der Streitkräfte im jeweiligen Einsatz auch lautet.

Nicht umsonst ist die Luftwaffe in Afghanistan nicht mehr eingesetzt und hatte in ihrer Zeit dort einen streng beschränkten Auftrag. Nicht umsonst verschießen die Panzerhaubitzen in Afghanistan zumeist Leuchtgeschosse, um den Feind nicht mit tödlichen Sprenggranaten unangemessen zu gefährden – ganz besonders dann, wenn die überall vertretenen Rechtsberater den Kommandeuren die Folgen eines Fehlschusses auf „Unschuldige“ deutlich machen. Da führt die Bildübertragung der Drohnen schnell zur Interpretation dessen, was das Bild zeigt und was es nicht zeigt. Wer schießt schon mit Artillerie auf eindeutig identifizierte Gegner, wenn die Annahme, daß dort auch Kinder und sonstige Angehörige in der Nähe sein könnten, das Schicksal von Oberst Klein in Erinnerung ruft.

Der maßgebliche Einfluß auf die Streitkräfte wird nicht durch wenige Soldaten mit spärlicher Kampferfahrung ausgeübt. Dagegen steht schon die offizielle Sprachregelung vom „friedensschaffenden“ Einsatz. Das hört sich weniger brutal an und unterstützt die Vision derer, die für diese Einsätze stimmen, aber ihr Gewissen damit beruhigen, daß deutsche Soldaten heute mit dem ethischen Rüstzeug der Demokratie gar nicht oder weniger gewalttätig kämpfen können sollen.

Das gilt auch gegenüber Gegnern, die sich selbst im Krieg wähnen und denen das Völkerrecht und erst recht demokratische Friedenspädagogik fremd sind. Und so denkt Altkanzler Gerhard Schröder noch heute an „die Mädchen, die jetzt in die Schule gehen können, was früher unter den Taliban nicht möglich war,“ und weiß, daß es damit „eine Rechtfertigung für den Einsatz“ gab.

Setzen deutsche Soldaten für dieses Mädchenschulprogramm ihr Leben aufs Spiel, so hat man inzwischen eine Tapferkeitsauszeichnung zur Hand, um besondere Leistungen zu belohnen. Aber auch der, der im Gefecht einfach nur dabei war, kann darauf zählen, nicht nur die Einsatzmedaille zu erhalten. Für die Anwesenheit in unmittelbarem Beschuß, wird nun die Einsatzmedaille „Gefecht“ verliehen. Man war da, aber ohne besondere Leistung. Dagegen war zuvor ein Verwundetenabzeichen verworfen worden, da es ja kein Verdienst sei, die körperliche Unversehrtheit verloren zu haben. Mancher argumentierte da mit dem Stock der Inneren Führung im Hinterteil und merkte dazu an, daß ein Verwundeter ja etwas falsch gemacht haben müsse und das nicht noch belohnt werden dürfe. Empörte Reaktionen auf diese verzweifelten Verdrehungen blieben nicht aus. Wie ohnehin eine große Anzahl von Offizieren und Unteroffizieren schon immer dem Ideal der kriegsnahen Ausbildung verbunden war und sich im dienstlichen Alltag durch Improvisation und kreative Auslegung der Vorschriften Raum zu verschaffen sucht. Der Druck, durch den bürokratischen Apparat, das Beschwerde-und Eingabewesen an den Wehrbeauftragten oder die Medien enttarnt zu werden, ist jedoch groß. Da bleibt man dann doch lieber unter den eigenen und den Ansprüchen der Vorschriften zurück, die auch heute noch schneidig formuliert werden, doch bereits durch die juristisch-bürokratisch-mediale Realität ad absurdum geführt sind.

 

Johannes Meyer ist Offizier und war unter anderem in Afghanistan stationiert.

 

Aktuelle Auslandseinsätze

Die Bundeswehr ist derzeit mit insgesamt 7.221 Soldaten an acht Auslandseinsätzen beteiligt. Mit 5.091 Soldaten ist der Einsatz in Afghanistan der mit Abstand größte. Im Kosovo sind zur Zeit noch 1.392 Bundeswehrangehörige stationiert.

An der Piratenjagd am Horn von Afrika beteiligen sich 521 Marineangehörige, an der Unifil-Mission vor der Küste des Libanon 155 Soldaten,
an dem Antiterroreinsatz im Mittelmeer 31.

In Bosnien-Herzegowina sind nach Angaben der Bundeswehr derzeit noch 14 Bundeswehrsoldaten stationiert. An den Beobachtermissionen der Vereinten Nation im Sudan und Südsudan sind fünf beziehungsweise zwölf deutsche Soldaten beteiligt.

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