© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Der große Crash
Wirtschaftskrimi: Hollywood versucht vergeblich, die jüngste Finanzkrise zu erklären / Die Anständigen müssen die Suppe auslöffeln
Markus Brandstetter

Eines muß man Hollywood lassen: Die Traumfabrik geht aktuellen und kontroversen Ereignissen nie aus dem Weg. Nach einigen Afghanistan- und Irakfilmen ist nun die Finanzkrise von 2008 dran. Der Film zum Thema heißt: Der Große Crash, bietet großes Starkino und läuft seit dem 29. September im Kino. Die Frage ist nur: Kann so ein Film auch etwas erklären?

Komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge geben meist einen schlechten Stoff für Filme ab, denn wie soll etwas, das auf der ganzen Welt nur ein paar tausend Leute verstehen, Millionen vom Hocker reißen, wenn da nicht eine erstklassige Geschichte dahintersteckte? Hier wird zwar nicht die ganz große Story erzählt, immerhin aber eine gute, und wie alle guten Geschichten ist sie einfach: Da wird ein alter Wertpapierhändler gefeuert, der herausgefunden hat, daß seine Bank sich dermaßen viele Milliarden an kreditfinanzierten Schrottpapieren aufgeladen und deren Wert konsequent falsch berechnet hat, daß sie notwendigerweise untergehen muß.

Ginge jedoch die Film-Bank, die verdächtig nach der 2008 havarierten Lehman-Bank aussieht, den Bach hinunter, dann könnte der Weltfinanzmarkt in Rutschen kommen. Da so etwas in Hollywood nicht geschehen darf und der Zuschauer einen sympathischen Helden braucht, tritt der auch auf und bringt die ganze Kalamität ans Licht, was einen Tag und eine Nacht lang für hektische Aktivitäten sorgt. Die unfrohe Botschaft wandert nun durch die Hierarchien im Bankenturm nervenaufreibend nach oben und passiert dabei auf jeder Etage immer zynischere Menschen. Erst als der große Boß mit dem vornehmen britischen Akzent im Hubschrauber einfliegt, wird zum Schluß doch noch das Gute und Richtige getan und die Welt, wenn auch nicht die Bank, gerettet. Das ist gewiß ein Film mit exzellenten Schauspielern und rasiermesserscharfen Dialogen, der Menschen in Situationen zeigt, die sich vermutlich so ereignet haben. Aber das ist kein Film, der die Hintergründe der Finanzkrise erklärt, noch ist es ein Film, der die Totalität des damaligen Geschehens verdeutlichen könnte. Ganze Banken gehen nicht einfach deshalb unter, weil das hauseigene Portfolio mit dem falschen mathematischen Modell berechnet wurde, was bloß jahrelang keiner gemerkt hat.

Der Grund der Finanzkrise von 2008 lag darin, daß man in den USA Millionen von Menschen, die weder Bonität noch Eigenkapital hatten, Hypotheken mit variablen Zinssätzen angedreht hat, die in den ersten beiden Jahren lächerlich niedrig waren, dann aber steil anstiegen, worauf die Schuldner reihenweise umfielen. In der Zwischenzeit waren die Subprime-Hypothekenverträge massenweise in Investmentvehikeln gebündelt und von denselben Rating-Agenturen, denen erst spät aufgefallen ist, daß Griechenland Probleme hat, mit Bestnoten versehen worden. Solchermaßen geadelt wurden die Mogelpackungen erst mit exotischen Namen versehen und dann in Derivativen weltweit so lange auf Kredit hin und her verkauft, bis das ganze Kartenhaus zusammenbrach. Das führte für eine ganze US-Schicht zum Verlust von Häusern, Arbeitsplätzen, zu Armut, Leid und Verzweiflung. Von all dem weiß dieser Film nichts, weil weißhaarige Sozialhilfeempfänger, die in ihren Autos auf Parkplätzen wohnen, in Hollywood noch nie als sexy galten.

Aber vielleicht kann dieser Film ja helfen zu verstehen, was da in Europa derzeit abgeht: Sind die griechischen Staatsanleihen genauso toxisch wie die US-Investmentvehikel von damals? Zeigen der Kursverfall der Bankaktien und die Schwierigkeiten französischer Großbanken aktuell, daß wieder einmal Banken zusammenbrechen könnten? Und würde eine Insolvenz Griechenlands den Euro und das globale Finanzsystem ins Wanken bringen? Unter den Basel-III-Regeln (JF 35/11) werden die europäischen Banken bis 2019 260 Milliarden Euro an zusätzlichem Eigenkapital aufbringen müssen. Kommt es zu einer Teilwertabschreibung der griechischen Staatsanleihen, dann würde das die Banken 15 bis 20 Milliarden Euro kosten, was beherrschbar wäre. Müßten jedoch auch die Schulden Irlands, Portugals, Spaniens und Italiens restrukturiert werden, dann müßten Europas Banken laut Internationalem Währungsfonds 300 Milliarden Euro abschreiben, und dann wären einige gefährdet.

Ob das so kommen wird, weiß keiner, aber diese Unsicherheit ist der Grund für den Preisverfall bei den Bankaktien. Sicher ist allerdings, daß die Banken zukünftig weniger Kredite vergeben und für diese höhere Gebühren verlangen werden (müssen). Die Auswirkungen auf deutsche Mittelständler werden gering sein, aber für schwächere Großunternehmen werden die Kreditkosten zukünftig steigen, Anleihen und Neuemissionen schwerer zu plazieren sein.

Griechische Staatsanleihen sind (noch) bessere Papiere als die damaligen Mortgage Backed Securities und Conduits von Lehman & Co, weil sie erstens in den Bilanzen der (meisten) Banken stehen, wo sie schon teilweise wertberichtigt sind, und zweitens nach einem griechischen Schuldenschnitt und Garantien durch die Europäische Zentralbank einen substantiellen Restwert behielten.

Griechenland selbst ist faktisch insolvent, was jeder weiß. Noch bestünde die Möglichkeit, durch Schuldentausch plus Forderungsverzicht die Abwärtsspirale des Landes anzuhalten, aber viel Zeit bleibt nicht mehr. Argentinien hat zwischen 1999 und 2002 gezeigt, daß ein harter Schuldenschnitt eine Krise beenden kann. Schlittert Griechenland ungebremst in einen Staatsbankrott und verläßt die Euro-Zone, dann wird dies viele europäische Banken gefährden und die griechischen plattmachen. Das Land selbst würde dann durch eine langanhaltende Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit, teilweiser Verelendung der Bevölkerung und politischer Instabilität gehen. Auch wenn dies vielen als Strafe für falsche Statistiken, faule Beamte und massenweise Steuerhinterziehung verdient erscheint, ist das zu kurz gedacht: Geht Griechenland pleite, dann sind Irland, Portugal, Italien und Spanien dem Angriff durch Spekulanten ungeschützt preisgegeben, und das will niemand, weil es das Ende der Euro-Zone bedeuten und eine Superkrise einleiten könnte.

Nichts von alledem kann einem dieser Film erklären. Etwas anderes aber schon: Irgendwann fliegt jeder Schwindel auf. Und dann müssen die Anständigen die Suppe auslöffeln.

„Der Große Crash“ (Margin Call) läuft seit voriger Woche in den deutschen Kinos: www.dergrossecrash-derfilm.de

Foto: Hollywood-Schauspielerin Demi Moore: US-Derivate so lange auf Kredit hin und her verkauft, bis das ganze Kartenhaus zusammenbrach; Oscar-Preisträger Jeremy Irons als britischer Bankretter John Tuld: „Es gibt drei Wege, um in diesem Geschäft der Erfolgreichste zu sein: der Erste zu sein, der Klügste zu sein oder zu betrügen.“

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