© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Lockerungsübungen
Überall lauern Suchtgefahren
Karl Heinzen

Was bislang als ein von biederen Pädagogen in die Welt gesetztes Gerücht galt, darf nun als wissenschaftlich untermauert gelten. 560.000 Menschen in unserem Lande sind, so eine auf Veranlassung der Bundesdrogenbeauftragten erstellte Studie, dem Internet verfallen, weitere 2,5 Millionen können als suchtgefährdet gelten. Als „abhängig“ werden dabei jene eingestuft, die tagtäglich mindestens vier Stunden „zwanghaft“ online gehen. Nicht erfaßt sind hier Menschen, die sich zwar ebenso lange im Internet bewegen, dafür aber berufliche Gründe anführen können. Diese sind jedoch, was die Klagen zahlreicher Arbeitgeber über die PC-Nutzung ihrer Beschäftigten belegen, oftmals nur vorgeschoben, sodaß die tatsächliche Zahl der Suchtfälle deutlich höher sein dürfte.

Der Einstieg in die Abhängigkeit erfolgt zumeist über Online-Spiele und soziale Netzwerke, Versuchungen, denen insbesondere die Altersgruppe der 14- bis 16jährigen kaum zu widerstehen weiß. Die Quote der Gefährdeten ist daher in ihr mit 15 Prozent signifikant hoch. Begünstigt wird das Abgleiten in die Sucht durch Flatrates, die keinen Kostendruck als Motiv für eine Entzugstherapie aufkommen lassen. Dennoch scheint der Gesetzgeber bislang davon absehen zu wollen, derartige Preismodelle der Internetanbieter zu untersagen, vielleicht, weil er sich nicht auch noch das Problem der Beschaffungskriminalität einhandeln möchte.

Mit diesem Schlaglicht auf eine neue Suchtgefahr hat die Bundesdrogenbeauftragte nicht nur unterstrichen, daß ihre Tätigkeit unverzichtbar ist und eigentlich mit zusätzlichen Finanzmittel ausgestattet werden müßte. Sie hat zugleich vor Augen geführt, daß die Aufgaben des Staates auf diesem Gebiet viel weiter zu fassen sind. Es gilt nicht allein, Menschen von der Einnahme von Substanzen abzubringen, die Leib und Seele zerrütten. Sie sollen vielmehr dazu angeleitet werden, alles zu vermeiden, was einer vernünftigen Lebensführung widerspricht, in der sie engagiert einer Erwerbstätigkeit nachgehen und ihre Freizeit dazu nutzen, ihre Arbeitskraft wiederherzustellen. Alles, was Menschen treiben, ist der Gefahr ausgesetzt, daß sie das Maß verlieren. Fernsehen, Sexualität, Hobbys, Geselligkeit, Essen und Trinken, Reisen, Sport: Es gibt kaum ein Thema, das die Bundesdrogenbeauftragte nicht beschäftigen müßte.

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