© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

„Staatstrojaner“
Big Brother als Realität
Dieter Stein

Nolstalgisch erinnern sich Ältere in diesen Tagen an die Zeit, als Manuskripte noch auf klobigen Schreibmaschinen getippt wurden. Das Klackern der Typen auf dem Papier mit Durchschlag ... Vertippt? Ratsch, raus mit dem Blatt und zerknüllt in den Papierkorb damit. Schaute einem beim Schreiben jemand über die Schulter, scheuchte man ihn weg, denn das lenkte ab. Diese Intimität gehört im Computerzeitalter endgültig der Vergangenheit an.

Am vergangenen Wochenende berichteten Medien über die Enttarnung von „Staatstrojanern“, die von Ermittlungsbehörden auf Rechnern von Verdächtigen installiert worden waren. Diese eingeschleusten Programme dokumentieren die Aktivitäten des Nutzers. Was er schreibt, welche Internetseiten er aufruft, welche Nachrichten er versendet, welche Internet-Telefonate er führt – es kann bei eingebauten Mikrophonen und Kameras sogar der Raum abgehört und gefilmt werden.

Für Fachleute ist dies nicht überraschend. Dem „Staatstrojaner“ vergleichbare Überwachungsprogramme können privat von jedem für wenige Euro gekauft und bei sich und den ihm zugänglichen Rechnern installiert werden. Alte James- Bond-Filme, in denen Agenten mühsam Räume verwanzen, sind Relikte einer Zeit, in der Bespitzelung noch aufwendig und leicht zu enttarnen war.

Heute stellen wir das für unsere Überwachung nötige technische Gerät freiwillig in die Wohnung: Rechner, die inzwischen per WLAN permanent „online“ sein können, ergänzt durch mobile Internet-Telefone, die uns auf Schritt und Tritt begleiten und auf denen viele freiwillig über Twitter oder Facebook die permanente Ortung eingeschaltet haben.

Die Vision von „Big Brother“ hat sich auf Samtpfoten in unsere Wohnzimmer geschlichen, und wir öffnen wegen des „Kampfes gegen den Terror“ unsere Tür zur Überwachung. Haben sich die Linksextremisten, deren Anschlag auf den Berliner Hauptbahnhof Anfang der Woche von der Polizei vereitelt wurde, nicht auch über das Internet verständigt?

Wir sitzen in der Falle des Netzes, und es ist nur die Frage, wer, wann und wie oft unsere Daten kopiert, uns über die Schulter sieht. Die vom deutschen Rechtsstaat den eigenen Sicherheitsbehörden angelegten Fesseln existieren für Angehörige ausländischer Geheimdienste oder für die organisierte Kriminalität, die es auf Paßwörter unserer Bankkonten abgesehen hat, nicht. Daß deutsche Behörden durch Trojaner gewonnene Informationen über amerikanische Server leiten und US-Diensten frei Haus liefern, ist ein erneuter Beleg für unsere Naivität.

Wer sich nach den aktuellen Enthüllungen über den Erfolg einer Piratenpartei noch wundert, dem ist nicht zu helfen. Es geht um die Macht im Netz, die Herrschaft über unsere Daten, über unsere Privatsphäre.

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