© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Aus eins mach zwei, dann vier, dann acht ...
Euro-Rettungsschirm: Der Kredithebel funktioniert nur, wenn die Europäische Zentralbank die Kosten trägt
Bernd-Thomas Ramb

Der Erfinder war passenderweise ein Grieche. Archimedes formulierte im dritten Jahrhundert vor Christus: „Gib mir einen Punkt, auf dem ich stehen kann, und ich werde dir die Welt aus den Angeln heben“. Diesen Punkt vermeinen die Griechenland-Retter nun gefunden zu haben – zumindest um mit dem Euro-Rettungsschirm EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) die Schuldenwelt aus den Angeln zu heben. Zur außerirdischen Kraftanstrengung werden die Euro-Retter durch die Erkenntnis getrieben, daß die gerade vom Bundestag mit Ach und Krach beschlossene Erweiterung des Rettungsschirms auf 780 Milliarden Euro nicht ausreicht, um alle von der Staatspleite bedrohten Euro-Länder zu retten.

Weil die 780 Milliarden Euro lediglich als Bürgschaft dienen können, kann nur das beleihbare Volumen von 440 Milliarden Euro zur Finanzierung der bedrohten Zahlungsausfälle herangezogen werden. Diese Summe deckt die aufzufangenden Staatschulden von Griechenland, Portugal und Irland gerade einmal zu 70 Prozent. Gerät auch noch Spanien in den Absturz, werden nur noch 30 Prozent der Gesamtsumme aufgefangen. Fällt zudem Italien, reicht die Deckung gerade für einen symbolischen Anteil. Zumal eine verhängnisvolle Unterdeckungsspirale greift: Jeder Staat, der ins Trudeln gerät, fällt als Finanzier der Euro-Rettung aus. Die 780 Milliarden Bürgschaftssumme schrumpft wie eine mißlungene Dampfnudel auf Zweidrittel ihres Volumens zusammen – wenn nicht die anderen ihre Haftungssumme nochmals um 50 Prozent erhöhen.

Weil konstruktionsbedingt die Bürgschaftssumme nur mit der etwa der halben Wirkungskraft den Finanzmarkt beeinflussen kann, liegt der Gedanke nahe, die Hebelwirkung mit anderen (als ursprünglich vorgesehenen) Mitteln zu vergrößern. Kern dieser Strategie ist die Umgestaltung der EFSF in eine eigenständige Großbank. Ursprünglich war der Rettungsschirm den mißtrauischen Euro-Ländern als mildtätige Solidaraktion verkauft worden. Den notleidenden Staaten sollte durch eine wohlwollende Bürgschaft das Vertrauen der Finanzmärkte wiedergewonnen werden. In der neuen Lesart wird der Bürgschaftsverwaltungsgesellschaft EFSF, die eine Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht mit Sitz in Luxemburg ist, nicht nur die Erlaubnis erteilt, auf eigene Rechnung Schuldpapiere aufzukaufen, sondern auch eigene Schuldenpapiere zu emittieren, um mit den Einnahmen die maroden Staaten zu unterstützen.

Aus 440 Milliarden Euro werden Billionen erschaffen

In beiden Fällen ist die Bilanzsumme jedoch auf maximal 440 Milliarden Euro beschränkt. Als Vollbank wäre die EFSF allerdings in der Lage, aus einem Euro vier, fünf oder gar zehn zu machen. Die 440 Milliarden Euro wären dann nichts anderes als die Stammeinlage der Bankeigner, die als Eigenkapital für alle weiteren Bankgeschäfte zur Verfügung stehen. Jede normale Bank verfügt in ihrer Bilanzsumme über ein Vielfaches ihres Eigenkapitals.

International vorgeschrieben ist nach dem Basel-III-Standard eine Quote von 10,5 Prozent. Davon sind zahlreiche Banken noch weit entfernt, und die Euro-Länder versuchen gerade, die Banken zu noch höheren Eigenkapitalquoten zu verpflichten. Jetzt aber schielen sie bei der Verbesserung der Finanzausstattung zur Euro-Rettung gerade auf die Beibehaltung dieses Mißverhältnisses.

Gelänge der künftigen EFSF-Bank eine ähnliche Aufblähung ihres Eigenkapitals nach dem Basel-III-Standard, könnte sie Kredite bis zu einer Gesamthöhe von 4,2 Billionen Euro vergeben. Dafür benötigt sie allerdings Gläubiger, die ihr uneingeschränktes Vertrauen schenken – weit über die Haftungsgrenzen hinaus. Gewiß, sie wäre eine praktisch staatliche geschützte Bank, deren letzte Haftung bei den Mitgliedsstaaten liegt; ironischerweise eine Konstruktion, die den deutschen Sparkassen ähnelt, die wiederum seit vielen Jahren in schärfster Kritik seitens der EU-Kommission stehen. Auf der Euro-Ebene findet die staatlich alimentierte Bank nun keinen Einwand.

Dennoch bleibt das fundamentale Problem: Wer vertraut einer solchen Bank sein Geld an? Die Chinesen, die Japaner oder die Russen? In jedem Falle müssen es sehr risikobereite Gläubiger sein, denn die Beantwortung einer entscheidenden Frage steht bislang aus: Was passiert, wenn die EFSF-Bank selbst ihren Bankrott erklären muß? Um dies zu verhindern, könnten die aufgeblähten Schulden der EFSF auf die Europäische Zentralbank (EZB) übertragen werden.

Wenn die EZB nicht ohnedies schon vorher als Finanzier in Erscheinung treten muß, weil sich auf dem Finanzmarkt keine solventen Gläubiger mehr finden. Die Ausstattung des EFSF-Rettungsschirms mit Finanzhebeln führt damit über den Zwischenschritt, die Erlaubnis zur Ausgabe eigener Schuldverschreibungen, also praktisch die Zulassung von Euro-Bonds, zur Inanspruchnahme der letzten Instanz der Liquiditätsbeschaffung, der Notenpresse der EZB.

Mit dem Geist des Maastrichter Euro-Stabilitätsvertrags hat das natürlich nichts mehr gemein. Aber welchen alternativlosen Euro-Politiker interessiert noch die Gesetzesgrundlage. Bei der Eroberung seiner Heimatstadt Syrakus soll Archimedes einen eindringenden römischen Soldaten mit den Worten angefahren haben: „Störe meine Kreise nicht!“ Worauf dieser ihn kurzerhand erschlug.

Auch die Hebel-Techniker unter den Euro-Rettern werden störungsfreie Finanzgeschäfte einfordern. Erschlagen wird man sie deshalb kaum, eher tatsächlich ungestört gewähren lassen. Die Proteste der Bundeskanzlerin beschränken sich jedenfalls auf halbherzige Einspruchsversuche.

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