© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

„Wir spielen in Einsätzen nicht Rambo“
Kampf gegen Piraterie: Deutsche Reeder beklagen mangelnden staatlichen Schutz / Einsatz privater Sicherheits­firmen als Notlösung
Sven Foligowski

Auf der Brücke des Schiffes herrscht Anspannung. Ein kleines Boot nähert sich schnell dem indischen Frachter. Zwei Männer in schußsicheren Westen machen sich gefechtsbereit. Sie sind sogenannte „Ship Security Officers“ (SSO), Söldner einer privaten Sicherheitsfirma. Mit Gewehren bewaffnet, bringen sie sich hinter an der Reling angeschweißten Stahlplatten in Stellung. Noch einmal ein Blick durch das Fernglas, dann die Gewißheit: Es ist eine Dhau, jener für den Indischen Ozean typische Bootstyp, der häufig bei Piratenangriffen verwendet wird. Die zwei jungen Männer geben mehrere Schüsse in Richtung der Dhau ab. Nach kurzem Feuergefecht folgt schließlich Entwarnung, die Attacke wurde erfolgreich abgewehrt.

Reeder an betriebliche Eigenfürsorge erinnert

Es sind fast alltägliche Szenen im Golf von Aden, unweit der somalischen Küste. Seit Jahren ist die Piraterie im Indischen Ozean zu einer der Haupteinnahmequellen der verarmten Landbevölkerung geworden. Strukturiert in Netzwerken, gehört sie mittlerweile zur organisierten Kriminalität. Besonders besorgniserregend ist dabei das immer gewalttätigere Vorgehen der Seeräuber.

Bis Ende September dieses Jahres wurden laut Pirateriebericht der internationalen Handelskammer allein schon 194 Angriffe auf Handelsschiffe verzeichnet. Dabei kam es bislang zu 24 Schiffsentführungen und 400 Geiselnahmen. 15 Seemänner wurden von Piraten getötet. Auch deutsche Reedereien bleiben von gewalttätigen Überfällen auf ihre Schiffe nicht verschont. Allein 2010 wurden 69 Schiffe deutscher Eigner Opfer von Piratenangriffen.

Die Bundesregierung steht angesichts dessen unter Zugzwang. Ihr wird die Vernachlässigung der Schutzpflicht des Staates vorgeworfen. Aus einer Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages geht jedoch hervor, daß Deutschland durch die Beteiligung an der EU-Navfor-Mission Atalanta das Mindestmaß an Schutzpflicht einhält. Deutsche Reeder fühlen sich dennoch allein gelassen. Denn im Fokus der EU-Mission stehen der Schutz von Hilfslieferungen nach Somalia sowie die Unterbindung des Waffenschmuggels. Erst anschließend wird im Auftrag die Sicherung der internationalen Schifffahrt erwähnt.

Die Forderung des deutschen Reedereiverbandes nach Soldaten und Bundespolizisten auf deutsch beflaggten Schiffen lehnt die Bundesregierung aus logistischen Gründen jedoch ab. Die hoheitliche Begleitung sei „angesichts der Größe des Seeraumes und Zahl relevanter Seepassagen mit hoheitlichen Kräften nur schwer durchführbar“, sagte Wolfgang Lohmann, Vizepräsident der Bundespolizei, Ende September bei der Fachtagung „Piraterie und ihre Bekämpfung“. Statt dessen will man sich nun privaten Sicherheitsunternehmen öffnen und die Rechtsgrundlagen klären. „Angesichts des Aspekts der betrieblichen Eigenfürsorge“, so Lohmann sibyllinisch, komme auch den Reedern eine Aufgabe zu.

Enorme wirtschaftliche  Verluste für Reedereien

Rechtlich war bisher der Einsatz aufgrund offener Haftungsfragen eine Grauzone. Primär gelte das Seemannsgesetz, wonach der Kapitän der oberste Vorgesetzte an Bord ist. Sicherheitskräfte haben ihm Folge zu leisten, so daß er bei Gewaltanwendungen mit haftbar wäre.

Zudem sollen ausschließlich entsprechend zertifizierte Firmen berechtigt sein, auf deutschen Handelsschiffen zu operieren. Die Zertifizierung werde laut Lohmann aus Lehrgängen über maritime und rechtliche Grundlagen sowie aus einem Maßnahmentraining „Piratenabwehr“ bestehen. Hier sollen vor allem Taktiken von Piraten und situationsgerechtes Verhalten geschult werden.

Laut einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers vom Juni dieses Jahres setzten bereits 33 deutsche Reedereien Sicherheitskräfte, teilweise ausländischer Firmen, ein. Viele begründeten dies damit, daß es letztlich billiger sei als die enormen Versicherungsprämien und Lösegeldzahlungen.

Auch deutsche Sicherheitskräfte profitieren so von der ausweglosen Lage der Reedereien. Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch terroristische Anschläge und kriminelle Überfälle, drängen immer mehr heimische Sicherheitsunternehmen auf den globalen Markt.

Anfänglich nur von ausländischen Firmen für Krisenregionen angeworben, will man sich nun selbst international plazieren. Sicherheit „made in Germany“. Genaue Zahlen gibt es allerdings kaum, man hält sich bedeckt. Es läßt sich nur erahnen, wie viele auf den globalen Markt drängen.

„96 Prozent der Aufträge erhalten wir über Empfehlungen“, verriet Walfried Sauer, Chef der Result Group GmbH, jüngst dem Münchner Merkur. Das bayrische Sicherheitsunternehmen, welches 1996 gegründet wurde und international operiert, ist ein Musterbeispiel für das florierende Sicherheitsgewerbe. Sauer, selbst ehemaliges Mitglied der Führungsgruppe des SEK und späterer Ausbildungsleiter der GSG 9 und KSK, ist heute Chef von 60 festen und 200 freien Mitarbeitern.

Weltweit eilt der Ruf der deutschen Gründlichkeit und Professionalität den sogenannten „Security Contractors“ voraus. Schon während des zweiten Irak-Krieges hatte der amerikanische Blackwater-Konzern, der heute unter dem Namen Xe-Services agiert, ehemalige Bundeswehrsoldaten als Söldner eingesetzt. Auch die deutsche Praetoria-Beratung wirbt auf der Internetseite des „Irakischen Wiederaufbau- und Personalgewinnungsprogramms“ mit deutschen Ex-Elitekämpfern, die sofern gewünscht, auch „schwer bewaffnet“ vermittelt werden könnten.

Besonders bedeutsam in Zeiten zunehmender Übergriffe auf internationale Handelsschiffe ist die Sparte der maritimen Sicherheit. Ganze Sicherheitsunternehmen, wie beispielsweise Xe oder auch deutsche Firmen wie die Internationale Bodyguard- & Sicherheitsagentur e.K. und Operative Sicherheit International GmbH, strukturieren sich angesichts der wachsenden Nachfrage neu. Schwerpunkte bilden oftmals Schulungen sowie bewaffnete Transportbegleitung, sogenannte „Vessel Protection“, und im Falle eines Falles die sichere Personenrückführung aus Krisenregionen. Gepriesen werden bei fast allen Unternehmen die Informationsdienste und die schnelle globale Einsatzbereitschaft der Kräfte. Nützlich hierfür sind Kontakte, die man bereits aus vorherigen beruflichen Tätigkeiten mitbringt.

Vielzahl an Mitbewerbern drückt den Lohn

Denn potentielle Mitarbeiter werden fast ausschließlich aus Bewerberkreisen von Spezialkräften der Bundeswehr und Polizei rekrutiert. „Unsere Einsatzkräfte bringen langjährige Berufserfahrung aus polizeilichen und militärischen Spezialeinheiten mit (...). Geführt wird dieser Bereich von einem ehemaligen Kampfschiffkommandanten mit langjähriger Erfahrung zur See“, wirbt die Firma International Security Network aus Rheinmünster auf ihrer Netzseite.

„Wir haben einen unglaublichen Zulauf an Bewerbungen, im Schnitt fünf bis sechs Bewerbungen pro Tag“, erklärt Arend Gräss, Geschäftsführer der Asgaard – German Security Group, gegenüber der jungen freiheit. „Allein in den letzten eineinhalb Jahren waren es in etwa 3.000 Bewerbungen. Teilweise rufen sie sogar noch aus dem Einsatz an, per Diensttelefon.“

Seit 20 Jahren führt die Bundeswehr Auslandseinsätze. Mit den Einsätzen brachte sie auch eine neue Generation deutscher Veteranen hervor. Für viele ist es der Nervenkitzel und das Geld, was sie wieder zurück in die Krisenregionen der Welt treibt. Gräss beschwichtigt jedoch: „Wir spielen in Einsätzen nicht Rambo. Die Jungs sind gut ausgebildete Ex-Elitekämpfer, die professionelle Arbeit erledigen und sich an den vorgegebenen Verhaltenskodex halten.“

Der große Ansturm auf dem Gebiet der maritimen Sicherheit zeigt allerdings auch erste Folgen. Durch die vielen neuen, teilweise stümperhaften Mitbewerber herrsche eine anhaltende Lohnminderung, beschwert sich der ehemalige Kommandosoldat Gräss ohne Umschweife. „Vor drei Jahren hat ein Ship Security Officer noch 2.400 US-Dollar pro Tag bekommen, heute zahlt man teilweise nur noch 700 US-Dollar pro Tag.“

Auch Sicherheitsfirmen sind in erster Linie Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel der Profitmaximierung. Käufliche Loyalität für den jeweiligen Auftraggeber inklusive. Für Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) bleibt daher die von der Bundesregierung avisierte Auslagerung von hoheitlichen Aufgaben auf private Unternehmungen gerade deshalb ein fragwürdiges Zeichen. „Jetzt wollen sie das staatliche Gewaltmonopol aufgeben, indem sie den Kampf gegen Piraten privaten Sicherheitsdiensten überlassen“, sagte der sozialdemokratische Landesminister zuletzt in einem Spiegel-Interview. „Ich verstehe die Konservativen nicht mehr.“

Internationaler Verhaltenskodex für private Sicherheitsdienstleister

Nicht erst die Kriege in Irak und Afghanistan beweisen – die Auslagerung militärischer Aufgaben liegt im Trend. Doch juristische und wirtschaftliche Problemstellungen (Mord, Korruption illegaler Waffenhandel) sowie Unklarheiten bei Aufsicht und Haftung brachten die militärisch ausgerichtete „Stability Industrie“ schnell in Verruf. Im September 2008 verabschiedeten daraufhin 17 Staaten – darunter Afghanistan, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irak, Südafrika, die Ukraine und die USA – das „Montreux Document“. Es ist das erste internationale Dokument, das einen Überblick über die völkerrechtlichen Verpflichtungen von privaten Sicherheitsfirmen gibt, die in bewaffneten Konflikten im Einsatz stehen. Es ist der Grundstock für den „International Code of Conduct“, der eine freiwillige Verpflichtung von Standards formuliert. Mit ihrer Unterzeichnung „verpflichten sich die Unternehmen, Sicherheitsdienstleistungen in verantwortungsvoller Weise bereitzustellen und hierbei den Rechtsstaat zu unterstützen, die Menschenrechte zu achten und die Interessen ihrer Auftraggeber zu wahren.“ Bis Anfang Oktober haben 211 Unternehmen aus 46 Staaten den Code unterzeichnet. Ein Grund für den Andrang: Nicht unterzeichnende Firmen sollen von Regierungsaufträgen ausgeschlossen werden. www.icoc-psp.org

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