© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Privilegierte Perspektive
Dahinter steckt nicht immer ein kluger Kopf: Eine Antwort auf Lorenz Jägers Abschied von der Rechten
Thorsten Hinz

Wer rechte oder konservative Positionen öffentlich vertritt, kann mit Fairneß nicht rechnen. Der Vorwurf, er, der Rechte oder Konservative, würde „jammern“ und sich in Selbstmitleid baden, ist von allen der perfideste und um so erstaunlicher, weil heute der Opfer- geradezu Kultstatus genießt und zu Privilegien berechtigt.

Aber um Privilegien geht es dem Rechten gar nicht. Er fordert lediglich aus der Position der Schwäche jenes Existenzrecht ein, das noch dem übelsten Straftäter mit moralisierendem Tremolo bescheinigt wird. Meistens will er sogar nur seine konkrete Situation beschreiben.

Der Jammer-Vorwurf zielt darauf ab, der gesellschaftlichen Kaltstellung die moralische Zerstörung folgen zu lassen. Zumindest aber dient er der Abwehr von Einsichten, die den Horizont des Erlaubten überschreiten. Statt Kritik von rechts auf ihren sachlich-objektiven Gehalt zu prüfen, wird sie auf einen subjektiven Defekt zurückgeführt.

Auf diese Ausgangslage muß der Rechte beziehungsweise Konservative seine Erwartungen und seine rhetorischen Mittel abstellen. Öffentliche Anerkennung, Geld, lukrative Posten fallen für ihn weg. Gegen seine geistige und moralische Vernichtung aber wehrt er sich am besten, indem er die politischen und geschichtlichen Voraussetzungen benennt, die das Handeln seiner Gegner bestimmen. Damit kann er „seine Feinde in eine verdummende Wut versetzen“ und gegen ihren aggressiven Moralismus die eigene Souveränität behaupten, wie Norbert Bolz im neuen Merkur schreibt.

Nun hat der FAZ-Redakteur Lorenz Jäger, den Jürgen Habermas den „einschlägig bekannten Rechtsaußen des Feuilletons“ nannte, mit Aplomb das rechte Lager verlassen. Es sei eine schöne und bequeme Zeit gewesen, sinniert er in seinem Artikel „Adieu, Kameraden, ich bin ein Gutmensch“ denn schon das Lästern über die Political Correctness „konnte für den Journalisten die halbe Miete bedeuten“. Das ist – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – aus der Perspektive eines Privilegierten verfaßt. Noch wichtiger ist, daß Jäger seinen Artikeln und Glossen nachträglich ihren Ernst nimmt und sich als Dandy präsentiert, der sich nach einem neuen Zeitvertreib umsieht.

Was ist das für eine Art, eine politische Position aufzugeben, nicht weil sie widerlegt wäre, sondern weil sich die falschen Leute auf sie berufen? Jäger könnte sich fragen, ob er seine Stellung und Talente ausreichend genutzt hat, um zur Begriffsschärfung beizutragen. Allzu oft hat er sich an bizarre Nebensächlichkeiten verschwendet. Dafür gibt es gewiß Gründe. Aber seine Beispiele vermeintlich rechter Verirrungen – die er auch der jungen freiheit anlastet – sind so undifferenziert, ja dumm, daß ein kluger Kopf wie er sie unmöglich ernst meinen kann.

Selbstverständlich ist in dieser Zeitung niemals ein Verbot des Koran gefordert worden. Vielmehr zollt sie den Moslems, die der spirituellen Dimension großen Raum in ihrem Leben geben, dafür Respekt. Die Zeitung ist aber klar dagegen, daß in Deutschland ein Programm durchexerziert wird, mit dem der Islam peu à peu die gesellschaftspolitischen Regeln bestimmt. Sie hat auch wiederholt auf den Umstand hingewiesen, daß die Bellizisten und Interventionisten, die den arabischen Staaten eine westliche Demokratie verordnen wollen, andererseits für eine islamische Einwanderung nach Europa und hier für eine schariakompatible Ordnung eintreten. Ihr Ziel ist eine globale Entropie. Der Begriff aus der Thermodynamik bezeichnet frei bewegliche Moleküle, die sich gleichmäßig über einen Raum verteilen. Diese Horrorvision einer kulturell gleichgeschalteten Welt voller frei flottierender Konsumenten wird von der JUNGEN FREIHEIT mit einer Schärfe kritisiert, die Jäger niemals riskiert hat!

Aber, wie gesagt, er ist ein zu kluger Kopf, um das nicht selber zu wissen. Man suche in seinem Artikel also nach dem Subtext. Vordergründig gehorcht er dem Muster öffentlicher Selbstkritik. Die Angeklagten der stalinistischen Schauprozesse bekannten in den Schlußworten ausgiebig ihre Schuld, um geheime Botschaften einzuschmuggeln, die das Gegenteil besagten.

Auch Jäger bleibt in seinem Abschiedsartikel alten Ansichten treu. Am deutlichsten wird das in der Passage über den Blog „Politically Incorrect“, der sich schon im Titel als „proamerikanisch“ und „proisraelisch“ vorstellt und damit als Stimme gegen den „Mainstream“ zu definieren glaubt. „Sie klinken sich in Strategien ein, an deren Planung und Formulierung sie keinen Anteil haben. Sie sind so etwas wie eingeborene Hilfstruppen, Askaris, Fremdenlegionäre. Sie beziehen ihre Ideologie aus zweiter Hand – und setzen ihren ganzen Stolz darein.“

In dem Zusammenhang verweist Jäger auf Ex-Minister zu Guttenberg, der gerade in einer amerikanischen Denkfabrik angeheuert hat. Das ist in der Summe zweifellos als Anspielung auf ein Grundproblem der politischen Klasse der Bundesrepublik gemeint, ja auf die Grundtatsache der bundesdeutschen Politik überhaupt. Wenn er abschließend dekretiert, konservativ sei es, „ein Gefühl für das Gewicht der Wirklichkeit zu haben“, dann ist das hübsch doppeldeutig. Offenbar will er mitteilen, daß für derartige Positionen in der „Zeitung für Deutschland“ künftig kein Platz mehr ist, auch nicht am Rande. Es ist müßig zu spekulieren, ob eine Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der Redaktion oder Außendruck dazu geführt hat.

Um so mehr bleibt es Aufgabe der Rechten und Konservativen, über Werte- oder Stilfragen hinauszugehen und die Machtgrundlagen und politischen Grundtatsachen herauszuarbeiten. Wenn der Chefvolkswirt der US-Bank Morgan Stanley verkündet, daß das Modell der unabhängigen Notenbank, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland für Geldwertstabilität, Prosperität und Wohlstand sorgte, bloß eine „historische Episode“ sei; wenn er gleichzeitig fordert, der Steuerzahler – und das heißt heute: der deutsche Steuerzahler – müsse für wertlose Staatsanleihen aufkommen und sich mit einer höheren Inflation abfinden, dann wird in der Finanzkrise ein agonales Muster sichtbar, wie es aus Weltkriegen bekannt ist. Zugleich ist der Totalitarismus der Finanzmärkte ein internationales Phänomen, dessen Terror auch die durchschnittlichen Amerikaner betrifft und empört. Die Zukunft ist unsicherer und offener als je seit 1945.

Für eine intelligente Rechte könnte sich bald ein weites Betätigungsfeld auftun, auf dem sich dann – wer weiß? – sogar Lorenz Jäger wieder einfinden wird.

 

„Nein, ich bin nicht mehr dabei, please count me out. Es war eine schöne Zeit, diese vergangenen zehn Jahre unter Rechten, ich gestehe es. Allein schon gegen den Stachel der ‘Political Correctness’ zu löcken konnte für den Journalisten die halbe Miete bedeuten.“

 

„Ich verstehe nicht, warum der Konservative, zum Beispiel, den menschengemachten Klimawandel für Panikmache von Gutmenschen und die Umweltauflagen gegenüber der Industrie für eine sozialistische Erfindung halten muß. Warum das Bekenntnis zu Atomkraftwerken den Rechten ausmachen soll. (…) Vor allem will ich nicht verstehen, daß Islamkritik in allen Spielarten, bis hinunter zur offenen Demagogie, fast das einzige Prunk- und Ehrenzeichen konservativer Politik geworden ist.“

 

„Einerseits ist man superpatriotisch, andererseits weltpolitisch-missionarisch. Sozialpolitik sei von Übel, der Großindustrie gehört alle Sympathie. Und daß diese Tendenz das Wort ‘konservativ’ erfolgreich für sich monopolisieren konnte, ist eine Schande für die einstmals achtenswerte Gedankenwelt eines Edmund Burke.“

 

„Genuin konservativ zu sein würde vor allem zweierlei bedeuten: ein Gefühl für das Gewicht der Wirklichkeit zu haben; daraus folgt von selbst eine Mäßigung. Und – nicht weniger wichtig – jedenfalls die Sehnsucht nach Maßstäben, die von oben kommen, vielleicht von Gott. Aber das ist die Sache von Einzelnen, keine Partei und kein Volkstribun wird‘s richten.“

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