© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Am Kiosk nicht mehr erhältlich
„Rheinischer Merkur“: Vor Jahresfrist wurde das Ende besiegelt / Wie zukunftsfähig ist die „Zeit“-Beilage?
Gernot Facius

Der Ministerpräsident von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, versuchte erst gar nicht, seine Empörung hinter diplomatischen Floskeln zu verstecken. „Das Einstellen des Rheinischen Merkur ist ein Anschlag auf die publizistische Pluralität im deutschsprachigen Raum“, schrieb der Regierungschef im Herbst 2010 in seiner 47. und letzten Kolumne als Mitherausgeber der ökumenisch orientierten, politischen Wochenzeitung aus Bonn. „Diejenigen, die ihn zielstrebig herbeigeführt haben, werden mit den Folgen ihres Tuns leben müssen“, prophezeite Juncker.

Er traf den Nerv vieler Stammleser. Viele von ihnen sahen in der „Beisetzung des RM in der Zeit eine nahezu zynische Geste“ der neun katholischen Bistümer und der Deutschen Bischofskonferenz, die das Blatt trotz massiven Abonnentenschwunds am Leben erhalten hatten, nun aber nicht mehr Millionen in ein Faß ohne Boden pumpen wollten – Geld, das für bessere Online-Auftritte, die Katholische Nachrichten-Agentur und das Münchner Institut für publizistische Bildung gebraucht wurde.

Im Dezember erschien dann erstmals der Merkur in einer Mini-Version als sechsseitige Beilage Christ & Welt der zwischen Kirchen-Skepsis und offenem Laizismus schwankenden Hamburger Zeit. Das traditionsreiche Flaggschiff des rheinischen Katholizismus war damit abgewrackt – die Versenkung wurde noch einmal verschoben.

Rund 14.000 vollbezahlte Abos habe man zu Beginn in das Huckepack-Modell mit der Zeit mitnehmen können – so ließ sich Peter Kersting, Liquidator des Merkur-Verlags, vernehmen. Seither habe es natürliche Fluktuationen, bedingt durch die Altersstruktur der angestammten Bezieher, gegeben.

Doch zeigten die Marketingmaßnahmen des Zeit-Verlags erste Erfolge. Hoppla! Das kennt man doch. Hatten sich nicht die alten Merkur-Leute stets mit zweckoptimistischen Ankündigungen Mut gemacht. Vollmundig verkündeten die ehemaligen Eigner im Herbst 2010, durch die Kooperation mit der Zeit könne „Interesse gerade bei jüngeren Leserschichten“ für die C&W-Themen geweckt werden. Da wurde wieder einmal getrickst, eine Mogelpackung kreiert. Nur die bisherigen Merkur-Abonnenten erhalten die Beilage, die im Untertitel etwas prahlerisch als „Wochenzeitung für Glaube, Geist, Gesellschaft“ firmiert. Neubezieher müssen erst gewonnen werden. Vor allem Studenten kauften hin und wieder eine Ausgabe der Zeit am Kiosk, sagt die verantwortliche Redakteurin, Christiane Florin. „Aber dort sind wir nicht erhältlich. Das Abonnieren ist für diese Altersgruppe eine große Hürde.“

Kein Zweifel, die C&W-Macher um Florin (nach eigenen Angaben eine „laue“ Katholikin) sind professionelle Journalisten, debattenfreudig, geübt im Umgang mit ästhetischer Optik. Sie wollen „allen“ kirchlichen Strömungen ein Forum bieten. Das ist löblich. Doch gewiß nicht neu. Darin hat sich auch der alte Merkur versucht und ist – gescheitert.

Zur Sicherung der „Kernkompetenz“ unter den gewandelten Bedingungen des Medienmarktes gehört auch eine klare Meinung in Kernfragen von Glauben und Kirche, das geht zumindest aus Leserzuschriften hervor, die sich bei den Redakteuren stapeln. Schöne Reportagen, geistreiche Feuilletons, Kunstwerk-Betrachtungen, ein Brief an die „liebe Frau Merkel“ (abwechselnd von Michael Rutz, Nikolaus Brender und Johann Michael Möller geschrieben), eine Kolumne des Verlegers Manuel Herder, ein wenig Lebenshilfe von der EKD-Kulturbeauftragten Petra Bahr – reicht das schon, um „gewissermaßen ein Schatzkästlein geistiger und geistlicher Inhalte rund um das Thema der Religionen, der Kulturauseinandersetzungen, auch der gesellschaftspolitischen Debatten“ zu sein, wie Rutz, der letzte Merkur-Chef, der Beilage mit auf den Weg gab? Oder ist das eher ein weiteres Angebot aus einem publizistischen Gemischtwarenladen, ohne klare Konturen?

Alten Merkur-Freunden schwant nichts Gutes, wenn sie lesen, wie Peter Kersting über die „Wunschvorstellung“ denkt, die Christ&Welt-Seiten wie die evangelische Beilage Chrismon der gesamten Zeit-Auflage beizulegen: „Dafür muß sich das Produkt noch weiter in Richtung Zeit entwickeln. Und es muß die Frage beantwortet werden, inwieweit die Beilage von der Zeit-Leserschaft aufgenommen und akzeptiert würde. Dafür ist das Ganze noch zu jung.“

Es wird, das ist kein Geheimnis, über die künftige Ausgestaltung der Kooperation verhandelt. Keine leichte Sache, zumal da die sechs Seiten mit Ausnahme von Eigenwerbung bislang ohne Anzeigen auskommen müssen.

Auch die Zeit hat ihre Probleme. Allein die Einführung des Ressorts „Glaube und Zweifel“ im März 2010 empfanden Teile des linksliberalen Abonnentenstammes als Provokation. Bei der Redaktion, so berichtete Zeit-Chef Giovanni di Lorenzo, seien Pakete mit Fäkalien eingegangen, weil einzelne Leser einen Bruch mit der liberalen Tradition des Blattes sahen.

Foto: Abonnemententwicklung der „Zeit“: Durch die Übernahme der vorherigen „RM“-Leser stieg die Zahl der „Zeit“-Leser – geringfügig

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