© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Der Seelenflüsterer
Apple-Mitgründer Steve Jobs starb mit nur 56 Jahren / Der Mythos wird bleiben
Elliot Neaman

Was macht manche Menschen so viel erfolgreicher als die große Mehrheit? Ehrgeiz, Intelligenz, reine Glückssache? In seinem Buch „Überflieger“ kommt der Kanadier Malcolm Gladwell zu dem Schluß, keiner dieser Faktoren sei für sich allein ausschlaggebend, vielmehr müßten sie zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Kombination zusammentreffen. In den siebziger Jahren begannen Tausende, mit Computern herumzutüfteln. Viele von ihnen waren genauso clever und ehrgeizig wie Bill Gates und Steve Jobs, aber sie haben die Welt nicht verändert.

Bill Gates hatte das Glück, daß seine Schule ein gutes Elektroniklabor hatte. Steve Jobs wuchs im Silicon Valley auf. Seine biologische Mutter war noch im Studium, und Steve wurde als Kleinkind von Paul und Clara Jobs adoptiert, die versprachen, ihn später aufs College zu schicken. Sein Adoptivvater hatte keinen Schulabschluß, war aber ein begabter Mechaniker, der mit dem Jungen viel Zeit in der Garage verbrachte, wo sie gemeinsam Geräte auseinandernahmen. Dort erwarb Steve wertvolle technische Fertigkeiten und ließ sich vom Perfektionismus seines Adoptivvaters anstecken.

Ein Universitätsstudium reizte ihn nie. Nach einem Semester an der teuren Privatuni Reed College in Portland/Oregon brach er es ab und kehrte zurück nach Mountain View, wo er Mitglied im Homebrew Computer Club wurde. Dank der Entwicklung neuer Siliziumchips wurde es damals gerade möglich, Kleincomputer mit einer Leistung zu bauen, die noch wenige Jahre zuvor ein Riesengerät erfordert hätte.

Jobs interessierte sich aber immer mehr für das Design von Computern als für ihr Innenleben. Mit Anfang Zwanzig lernte er Kalligraphie und begann Computerspiele zu erfinden. Sein älterer Freund Steve Wozniak war Ingenieur und baute die Festplatten, während Steve sich um die Ästetik, Werbung und Vertrieb kümmerte. Zusammen bauten sie den Apple I und Apple II.

Jobs’ Genie offenbarte sich bei der Entwicklung des Mac, der dem Tischcomputer eine Maus hinzufügte. Die war im Xerox-Forschungszentrum in der Nähe des Apple-Firmensitzes entwickelt worden. Jobs erkannte als erster ihr kommerzielles Potential. In einem berühmten 30sekündigen Werbespot, der nur einmal im Fernsehen lief, nämlich 1984 beim Superbowl, dem größten Sportereignis im US-Kalender, positionierte Apple den Mac als „revolutionäre“ Alternative zum Großen Bruder IBM. Auf diese Weise gelang es ihm, die Energie der kalifornischen „Gegenkultur“ für eine Sparte nutzbar zu machen, die bislang als die öde Domäne bebrillter Tüftler galt, die funktionstüchtige Geräte für Anzugträger herstellten.

Die Höhe- und Tiefpunkte der nächsten Jahre lesen sich wie ein Hollywood-Drehbuch und machen den eigentlichen Reiz der Lebensgeschichte dieses außergewöhnlichen Mannes aus. Während Bill Gates in den achtziger Jahren Windows-Lizenzen an PC-Hersteller verkaufte, behielt Apple stets die Kontrolle über sein Betriebssystem. Ein strategischer Fehler – Microsoft wuchs zum globalen Riesen, der Marktanteil von Apple schrumpfte immer mehr.

1985 wurde Jobs von der eigenen Geschäftsführung vor die Tür gesetzt. Daraufhin gründete er die so unprofitable wie einflußreiche Firma NeXT, die anfing, mehrere Computer in Netzwerken miteinander zu verbinden. Auch diese Innovation ging auf eine Idee zurück, die Xerox entwickelt, aber nicht weiterverfolgt hatte. Tim Berners-Lee, der Vater des Internet, präsentierte seine Erfindung 1990 auf einem NeXT-Computer.

1986 kaufte Jobs George Lucas’ Computeranimationsfirma und benannte sie in Pixar um. Er stellte Top-Leute ein, die Kassenschlager wie „Toy Story“ und „Nemo“ schufen. Das Neuartige an diesen Trickfilmen für Kinder waren nicht nur die Computereffekte, sondern auch die Geschichten, die versteckte kulturelle Anspielungen enthielten und somit auch die Elterngeneration ansprachen.

1996 kehrte Jobs als Berater zu Apple zurück. Seine NeXT-Software brachte er mit und ließ sie in ein neues Mac-Betriebssystem einbauen. Er saß bald wieder im Chefsessel, doch die späten Neunziger wurden zum bislang dunkelsten Kapitel in der Firmengeschichte. Apple stand kurz vor der Pleite, und Jobs mußte eine rettende Finanzspritze vom Erzrivalen Microsoft annehmen.

Letztlich überlebte das Unternehmen doch. Der rasante Ausbau des Internet veränderte die technologische Landschaft und eröffnete völlig neuartige Innovationsmöglichkeiten. Jobs begriff recht früh, daß das Internet den Umgang mit Medien grundstürzend verändern würde, daß künftig tatsächlich das Medium die Botschaft ausmachen würde, wie es die Kulturpioniere der sechziger Jahre einst versprochen hatten. Er wurde zum Visionär, der in die Zukunft blicken konnte und ein Gerät nach dem anderen erträumte, von dem die Menschen noch gar nicht wußten, wie dringend sie es brauchten. Nachdem sie sie einmal hatten, konnten sich viele Verbraucher ein Leben ohne iPod, iPhone und iPad jedoch nicht mehr vorstellen.

Wer ein Apple-Produkt kaufte, erwarb damit das Recht, an einer einzigartigen Erfahrung teilzunehmen, die sich vollkommen von allen herkömmlichen technologischen Errungenschaften unterschied. In schwärmerischen Tönen sprachen Benutzer von einer Art intimem Verhältnis, einem intuitiven Zugang zur Seele ihrer jüngsten Neuanschaffung. Die Produkte waren formschön und ästhetisch attraktiv, aber darüber hinaus dienten sie auch als Mittel der Selbstverwirklichung. Um die Mystik und den Mythos von Apple entstand ein fortwährender Kult. Zudem krempelte die neue Technologie die Unterhaltungsindustrie um, zwang sie doch die Musik-, Film- und Fernsehbranche, sich in halsbrecherischem Tempo auf die digitale Zukunft einzustellen.

So nachhaltig hat Jobs sein Unternehmen und ihm die eigene DNS eingepflanzt, daß sich nach seinem Tod wenig ändern dürfte. Auch die nächsten Produktlinien werden in Aussehen wie Funktion unverkennbar sein. Deswegen nahm die Börse von der seit langem erwarteten Nachricht seines Todes am 5. Oktober nur mit einer geringfügigen Schwankung des Apple-Kurses Notiz.

Kritiker werfen Apple Geheimniskrämerei, Mißbrauch persönlicher Benutzerdaten und Verachtung gegenüber den Kunden vor. Manche behaupten, Apple-Käufer ließen sich vom Sex-Appeal der Produkte verführen, die in Wirklichkeit ihren Preis nicht wert seien: iPhones und iPads werden nur in Kalifornien entwickelt, aber in China hergestellt.

Auch Steve Jobs persönlich hat sich im Laufe seines Lebens keineswegs nur Freunde gemacht. Er war kein großzügiger Mensch. Er weigerte sich jahrelang, die Vaterschaft für sein uneheliches Kind anzuerkennen. Anders als Bill Gates zeigte er kein Interesse an gemeinnützigen Zwecken. Er galt als ruppig und arrogant. Bei seinen Mitarbeitern war er gefürchtet, mit Geschäftspartnern zerstritt er sich regelmäßig. Nach seiner Krebsdiagnose im Jahr 2004 baute er einen Schutzwall um sein Privatleben auf, der Apple und seinen Aktionären schadete. Ob Walter Isaacsons Jobs-Biographie mehr verrät, bleibt abzuwarten.

Jobs nahm LSD, sah sich als Anarchisten und konvertierte zum Buddhismus. Statt der westlichen Schulmedizin zu vertrauen, versuchte er sich mit fernöstlichen Methoden zu therapieren und beschleunigte damit womöglich seinen Tod. In die Geschichtsbücher wird Jobs als ein visionärer Geschäftsmann eingehen, ein Henry Ford, Thomas Edison oder Walt Disney des digitalen Zeitalters. Er hat die Zukunft nicht nur vorausgesehen, er hat sie mitgestaltet.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Walter Isaacson: Steve Jobs – Die autorisierte Biographie des Apple-Gründers. Bertelsmann Verlag, München 2011, gebunden, 704 Seiten, 24,99 Euro

Foto: Trauer um Steve Jobs:  Sony Pictures will das Leben des visionären US-Geschäftsmanns verfilmen

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