© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

„O Ruhm, du meines Glaubens Schwinge“
Im Januar 2012 jährt sich der Geburtstag des großen Preußenkönigs Friedrich II. zum 300. Mal / Erste belletristische Präsente von Jens Bisky und Jürgen Luh sind bereits eingetroffen
Götz Bachmann

Wilhelm Dilthey, im Oktober 1911 verstorbener Erfinder der „Geisteswissenschaften“, pries Friedrich II., König von Preußen von 1740 bis 1786, als den „größten Deutschen“ zwischen Luther und Goethe. Ähnliche Loblieder werden in diesem Herbst, im Vorfeld des am 24. Januar 2012 anstehenden 300. Geburtstages des „Alten Fritz“, nicht erklingen. Weil Friedrich der Große für die Gegenwart keine relevante Bezugsgröße mehr ist, an der sich Politik und Gesellschaft ausrichten.

So noch wie zu Diltheys monarchischer Zeit und, nachdem sein filmischer Wiedergänger Otto Gebühr dem König ungeahnte Popularität verschafft hatte, bis in die Untergangswochen des Deutschen Reiches hinein, als Joseph Goeb-bels im April 1945 meinte, mit dem Tod Franklin D. Roosevelts wiederhole sich das „Mirakel des Hauses Brandenburg“: Rettung in letzter Minute, wie einst das plötzliche Ableben der Zarin Elisabeth das aus allen Wunden blutende friderizianische Preußen zum Sieger des Siebenjährigen Krieges erhob.

Wie die jüngsten von unzähligen Versuchen, Friedrichs Leben und Taten biographisch zu verdichten, die Arbeiten von Johann Kunisch und Gerd Heinrich (JF 35/10) gezeigt haben, ist aber nicht nur der politische Gebrauchswert des Königs nach 1945 außer Kurs geraten, sondern, passend dazu, schliefen auch die geschichtswissenschaftlichen Kontroversen um diese absolute Herrschergestalt ein. Kunisch und Heinrich konnten sich daher kaum mehr durch Parteinahmen in strittigen Fragen profilieren. Da Friedrichs preußischer Militärstaat als Basis des reichsdeutschen Nationalstaates seit zwei Generationen als ideelles Zentrum des politischen Organisationswillens der deutschen „Bevölkerung“ ausgedient hat, müssen sich Historiker eben nicht weiter um Preußen als Legitimationsressource streiten.

Darum breitet sich zunehmend Gelassenheit gerade gegenüber dem Feldherrn und „Angriffskrieger“ Friedrich aus, der früher der beliebteste Popanz der „Preußenkritiker“ war. Heute gilt als historiographischer Dilettant, wer an die Staatenkriege des 18. Jahrhunderts den Maßstab moderner Moralstereotype anlegt. Obwohl Friedrich als öffentliche wie historische Figur keine Spannungen mehr erzeugt, will Jens Bisky, Feuilletonist der Süddeutschen Zeitung, ihn als Faszinosum weiter im Gespräch halten. Dem dient sein lockeres Arrangement mit Texten aus Friedrichs Feder und von dessen Zeitgenossen. Dies „Lesebuch“ soll jener Klientel ein erstes Eintauchen in die Atmosphäre des bestenfalls „strengen Glücks“ (Thomas Mann) ermöglichen, die nach Biskys Einschätzung vielleicht eines Tages „unserer hedonistischen Kultur“ überdrüssig sein und sich nach dem „Halt und Sicherheit“ versprechenden Gemeinwesen sehnen könnte, das wieder „Dienst und Opfer“ verlange.

Eine solche Brücke in die Gegenwart baut der Historiker Jürgen Luh, Mitorganisator der Potsdamer Festivitäten zu Friedrichs 300. Geburtstag, dem König nicht. Denn sein Unterfangen, aus der erdrückenden Masse der Quellen und der Fließbandproduktion der Friedrich-Bilder mittels scharfer, von souveräner Stoffbeherrschung zeugender Selektion zu origineller Deutung vorzustoßen, wirkt auf den Leser wie ein überflüssiger Denkmalsturz. Nicht der antiquierten Art, wie er, ungeachtet des unter Erich Honecker Unter den Linden wieder installierten Rauch-Denkmals, unter DDR-Historikern Brauch war. Luh geht ungleich subtiler und leidenschaftsloser vor.

Und von materialistischer Dekonstruktion hält er ohnehin nichts, weil für ihn nicht sozioökonomische Zwänge Friedrichs Politik bestimmten, sondern ausschließlich Geltungsdrang den Monarchen antrieb. In einer Ode des 22jährigen, „Sur la Gloire“ („O Ruhm, du meines Glaubens Schwinge“), glaubt Luh einen Blick ins Herz der Finsternis zu tun. Ruhmsucht entfesselte Friedrichs Ehrgeiz, als größter Staatslenker, Feldherr, Philosoph, Baumeister und Förderer der schönen Künste Unsterblichkeit zu gewinnen. Sie habe auch seinen Charakter geformt, den eines monomanischen Rechthabers, monologisierenden Autisten und Misanthropen, die deutsche Sprache und Kultur verachtenden Belletristen, den alles andere als sparsamen Haushalters oder bedürfnislosen Asketen. Die Eroberung Schlesiens verdammte ihn zu einer starren Politik der Sicherung des Erreichten. Veränderung und Fortschritt seien Dinge gewesen, die er, Gefangener seiner „zementierten Gedankenwelt“, nicht wünschte.

Höflich im Ton, vielfach umständlich argumentierend, sich zitatenreich absichernd, aber unerbittlich in der Sache, überreicht Luh hier ein Präsent, das Fridericus Rex kaum entzückt hätte.

Jürgen Luh: Der Große. Friedrich II. von Preußen. Siedler Verlag, München 2011, gebunden, 288 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro

Jens Bisky: Unser König. Friedrich der Große und seine Zeit – ein Lesebuch. Rowohlt Verlag, Berlin 2011, gebunden, 400 Seiten, 19,95 Euro

Foto: Ein Ausbruch des Strokkur-Geysirs auf Island: Phantastische Impressionen von Feuer, Wasser, Eis und Wildnis aus dem Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse

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