© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Frisch gepresst

Scharia. Wenn in der Integrationsdebatte von Parallelgesellschaften die Rede ist, denken viele an türkische Einwanderer, die nur bei ihren Landsleuten einkaufen, oder arabische Clanchefs, die sich in neonhellen Männercafés die Zeit vertreiben. Daß die Parallelstrukturen längst viel tiefer reichen und dabei sind, die staatliche Ordnung auszuhöhlen, zeigt der langjährige ARD-Journalist Joachim Wagner in seinem beunruhigenden Buch „Richter ohne Gesetz“. Wagner hat sich dafür auf die Spur islamischer „Friedensrichter“ begeben, die an den Gerichten vorbei eine Gegenjustiz aufgebaut haben, die ihren ganz eignen, archaischen Gesetzen folgt. Wenn sich Opfer oder Zeugen einer Straftat im islamischen Milieu vor Gericht plötzlich an nichts mehr erinnern können, ist dies ein sicheres Anzeichen für diese Praxis hinter den Kulissen. Anschaulich dokumentiert Wagner die Ohnmacht des Rechtsstaates und die hilflosen Reaktionen von Justiz und Politik auf dieses Phänomen. Der Fernsehjournalist zeichnet dabei ein pessimistisches Bild von den Erfolgsaussichten, die Paralleljustiz wieder zurückzudrängen: Wenn dies überhaupt gelingt, werde es Jahrzehnte dauern, lautet Wagners ernüchterndes Fazit. (ms)

Joachim Wagner: Richter ohne Gesetz. Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat. Econ Verlag, Berlin 2011, broschiert, 237 Seiten, 18 Euro

 

Türkei. Gibt es eine Renaissance des Osmanischen Reiches? Berichte über die „neue“ Außenpolitik der Regierung Erdogan deuten darauf hin. Ob die Abkehr vom Westen oder offensive Interessenvertretung auf dem Balkan, ob die deutliche Kehrtwendung in der Israelpolitik oder die rege Besuchsdiplomatie in die arabische Welt – eine Frage tritt deutlich auf die Tagesordnung: Etabliert sie sich gar als neue Führungsmacht? Ganz so einfach, so die aussagekräftigen Berichte über die Beziehungen Ankaras zu Ägypten, den Golf- und Maghrebstaaten, ist die Sachlage jedoch nicht. Zwar wird die Türkei Erdogans gern als Vorbild genannt, doch stehen Stereotypen über die osmanische Fremdherrschaft, die religiöse Heterogenität der Staaten sowie der Drang nach Abbau von Abhängigkeiten in Kairo, Tunis oder Tripolis einer politischen Machtentfaltung Ankaras entgegen. Doch die Türkei hält Kurs und kann gerade auf Ebene wirtschaftlicher und kultureller Expansion Erfolge vorweisen. (ctw)

Sigrid Faath (Hrsg.): Die Zukunft arabisch-türkischer Beziehungen. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2011, broschiert, 284 Seiten, 44 Euro

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