© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Proteste gegen das Finanzsystem
Dealer, Junkie und der Entzug
Dieter Stein

Wie so oft schwappt aus Amerika eine neue Mode über den Teich ins träge Deutschland; so werden nicht nur die Parolen („Occupy Wall Street“) anverwandelt, sondern auch launige Instrumente übernommen, wie der „Mic Check“, bei dem ein Redner ohne Megaphon die Menge der Demonstranten als Verstärker jeden Satz lauthals wiederholen läßt. Bei Youtube kursieren bereits lustige Filme von der Demonstration vor dem Reichstag von Anfang der Woche, als ein Einsatzleiter der Polizei spricht und die Menge jeden Satz wiederholt: Polizist: „Wie ich gerade gehört habe ...“ Menge: „WIE ICH GERADE GEHÖRT HABE ...“ Polizist: ... „ist dies eine Versammlung.“ Menge: „IST DIES EINE VERSAMMLUNG.“

Die Proteste sind so heterogen wie die Forderungen. Noch haben sich die einschlägigen linken Organisationen der Bewegung nicht ganz bemächtigen können. Vielen Bürgern spricht es aus der Seele, wenn im Rahmen weltweiter Proteste nun auch in Deutschland gegen ein Finanzsystem demonstriert wird, dessen Eliten versagt haben. Doch welche Forderungen würden denn dem „Tiger die Zähne ziehen“? Tatsächlich sind den Großbanken, die eine ganze Wirtschaftsordnung mit ihrem Untergang erpressen, erst von – oft linken – Regierungen jene Geschäfte ermöglicht worden, die nun das System sprengen. Daß Demonstranten vor die Europäische Zentralbank zogen, weist auf den richtigen Adressaten:

Im Auftrag der EU-Regierungen hat diese Institution den Boden solider Geldpolitik verlassen, indem sie massenhaft faule Staatsanleihen aufkauft, um Banken zu retten, die sich schlicht verzockt haben. Ein Stopp wurde aber ebensowenig gefordert wie der konsequente Ausstieg aus dem Euro. Hauptadressat der Proteste müßten indes die Regierungen, der Staat sein: Keinen Cent mehr für Banken, die sich verspekuliert haben! Schluß mit dem Gefasel von der „Systemrelevanz“. Für eine intakte Marktwirtschaft ist es systemrelevant, daß Pleiten stattfinden! Wenn die Politik nicht endlich aufhört, Pleite-Banken zu retten und ihnen ihre faulen Kredite mit neuen Schulden auf Kosten des Steuerzahlers abzukaufen, dann ist dies der Freibrief für alle anderen Banken, sich auf noch riskantere Geschäfte einzulassen.

Die Banken müssen zu einer höheren Eigenkapitalquote gezwungen werden, sie müssen die Verantwortung für ihr Engagement um den Preis ihres Untergangs selbst tragen, und im Falle der Pleite darf der Staat allenfalls die Einlagen von Sparern retten – nicht die ganze Bank.

Der hochverschuldete Staat scheut jedoch den offenen Konflikt mit den Banken wie ein Junkie, der sich mit seinem Dealer anlegen soll: Deshalb ist es auch höchste Zeit für einen radikalen Entzug, ein Ende des billigen, schnellen Geldes. Doch auch das ist auf den Demos nicht zu hören.

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