© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Einflußnahme der Türkei
Von Bochum bis Tripolis
Klaus Hornung

Der türkische Präsident Abdullah Gül hatte in seinem FAZ-Interview anläßlich seines Staatsbesuchs in Berlin ganz im Sinne seines Meisters Erdogan selbstbewußt festgestellt: „Deutschland ist ein Einwanderungsland.“ Er hatte ja noch im Ohr, daß sein deutscher Kollege Christian Wulff schon ein Jahr zuvor darüber geschwärmt hatte, daß der Islam inzwischen Teil der „bunten deutschen Republik“ geworden sei.

Tatsächlich wuchern die geschichtspolitischen Legenden, nicht zuletzt von Deutschen selbst gestrickt oder wenigstens unwidersprochen; so auch die, daß die türkischen Gastarbeiter einen wesentlichen Anteil am Wiederaufbau Deutschlands nach dem Krieg hätten. Hier wie auch sonst spielen die Tatsachen kaum eine Rolle, hatte die türkische Einwanderung nennenswert doch erst in den sechziger Jahren begonnen, nicht nur in den deutschen Arbeitsmarkt,  sondern zunehmend durch einen großzügigen „Familiennachzug“ direkt in das welteinmalige deutsche Sozialsystem mit dem Ergebnis, daß heute große Teile von ihm leben. Herr Gül vertrat in dem Interview auch sonst recht eigenwillige Meinungen, etwa Deutschland und die Türkei seien heute die beiden einzigen aufstrebenden Länder, die zusammenarbeiten sollten, um das stagnierende Europa „wieder auf Vordermann zu bringen“.

Da war er also wieder, der Wink mit dem Zaunpfahl des baldigen Beitritts der Türkei zur Europäischen Union. Auch ihr Präsident rechnet schon mit künftigen Linksregierungen ab 2013 sowohl in Berlin wie in Paris. Bekanntlich vertritt die heutige türkische Regierung das Konzept einer Renaissance des türkischen Großreichs der Osmanen mit seiner Ausdehnung von den Toren Wiens bis weit in den arabischen Nahen Osten.

Mitteleuropa ist angesichts seines demographischen Niedergangs dabei schon längst zum Schwerpunkt türkischer Landnahme und Machtpolitik geworden, die ihre Netze von Berlin und Bochum bis Tripolis und Kairo ausspannt. Und deutsche Politiker wie Bundespräsident Wulff können es kaum mehr abwarten, bis die bunte deutsche Republik entsprechend weiter aufgefüllt wird. Nach der Euro-Katastrophe soll Deutschland vollends zum Bettvorleger für die Völkerwanderung aus dem Orient in den Okzident werden, wie ein kluger Leserbriefschreiber meinte.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.

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