© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Der Polizist als Mensch
Innere Sicherheit: Eine Berliner Diskussion über die Gewalt gegen Polizeibeamte entwickelt sich zu einem Streit über die Kennzeichnungspflicht
Lion Edler

Die zunehmende Gewalt gegen Polizisten sorgte in den vergangenen Monaten wiederholt für Schlagzeilen. Grund genug für die Fachtagung „Zur Zukunft der Polizei in Deutschland“, sich am Montag in Berlin mit dem beängstigenden Phänomen auseinanderzusetzen. Doch anders als geplant entwickelte sich das Forum über weite Strecken zu einer Debatte über die Kennzeichnungspflicht für Polizisten.

Bei dieser in Berlin neu eingeführten Maßnahme tragen Polizisten auf ihrer Uniform ein Schild mit ihrem Namen oder einer Nummer, womit sich die Befürworter der Kennzeichnungspflicht  vor allem eine bessere Verfolgung von durch Polizisten begangenen Straftaten erhoffen. Doch der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Matthias Seeger, hält das für keine gute Idee. „Die Gefahr besteht, daß die Polizisten und ihre Familien im Privatleben Repressalien und Übergriffen ausgesetzt sind“, sagte Seeger. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, sieht das ähnlich. Dadurch werde „jedem Polizisten unterstellt, daß er Straftäter ist“.  Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Christine Lambrecht, verteidigte dagegen die Kennzeichnungspflicht, von der sie sich erhofft, daß sie hilft, die Distanz zwischen Polizisten und Bürgern abzubauen und daß die uniformierten Polizisten stärker „als Mensch gesehen“ würden.

Doch die Polizisten selbst sind von dieser Sichtweise wenig überzeugt, wie die Wortmeldungen aus dem Publikum zeigten. „Die Kollegen sind stinksauer“, berichtete ein Polizist aus Brandenburg, wo ab 2013 das Namensschild ebenfalls zur Pflicht werden soll. Man habe nachgefragt, ob es Straftaten gegeben hätte, die nur durch eine Kennzeichnung der Polizisten hätten aufgeklärt werden können: Doch es sei „nicht ein einziger Fall“ bekannt. Der Sprecher der Berliner Polizei, Thomas Goldap, hielt dem entgegen, daß seit der Einführung der Kennzeichnungspflicht in Berlin auch kein Polizist zu Schaden gekommen sei, etwa durch gezielte Übergriffe von Linksextremisten. Goldap sagte, er trage das Kennungsschild seit 1997 freiwillig. Er schwärmte in diesem Zusammenhang vom ehemaligen Berliner Polizeipräsidenten Dieter Glietsch, der mit der Einführung der Kennzeichnungspflicht eine „Vision für eine moderne Hauptstadtpolizei, die zur Community gehört“, gezeigt habe. Für Berlin gebe es „keine Alternative“ zur Kennzeichnungspflicht.

Witthaut zeigte sich von dieser Begeisterung unbeeindruckt. Gegen freiwillige Kennzeichnung habe seine Gewerkschaft „nie etwas gehabt“. Es handle sich bei der Debatte jedoch um eine „Kampagne, die von Amnesty International und anderen geführt wird, und viele springen darauf an“. Indessen sorgt sich Witthaut vor allem um die zunehmende Gewalt gegen Vollzugsbeamte. Nach einer Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer und seines Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) seien 13 Prozent der befragten Polizisten zwischen 2005 und 2009 Opfer von Gewalt geworden, die zu mindestens einem Tag Dienstunfähigkeit geführt habe. Auch Matthias Seeger wies darauf hin, daß allein im vergangenen Jahr 2.064 Beamte angegriffen wurden – das ist eine Steigerung von knapp 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für das erste Halbjahr des Jahres 2011 sei dieser „Trend weiter ansteigend“. Seeger beobachtet dabei „ein hohes Maß an Nichtachtung und Mißachtung der Staatsgewalt“. Dabei müsse deutlich gemacht werden, daß ein Angriff auf die Polizei „immer auch ein Angriff auf den Rechtsstaat“ sei. Die Strafverschärfung beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte von zwei auf drei Jahre Haft ist für Seeger denn auch eine sinnvolle Maßnahme. „Wesentliche Notwendigkeit wäre allerdings die konsequente Anwendung geltenden Rechts.“ Doch zu viele Verfahren würden eingestellt oder als minder schwere Fälle abgeurteilt. „Wo weniger Verfahren eingestellt werden, sinken die Straftaten“, erläuterte auch Witthaut. Eine öffentliche Hauptverhandlung könne „hilfreich“ im Sinne einer Läuterung des Angeklagten sein.

Doch trotz der zunehmenden Gewalt gegen Polizisten und der Debatte um angebliche „Polizeigewalt“ steht die Polizei nach wie vor bei den meisten Deutschen in hohem Ansehen. „Deutsche Polizei ist wie Mercedes Benz ein Markenzeichen, wir sind weltweit gefragt“, berichtete Seeger. Daß es dennoch zunehmend zu Ausschreitungen gegen Polizisten komme, müsse kein Widerspruch sein. Der Gegensatz erkläre sich daraus, daß die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung rechtstreu sei, was aber nicht einzelne Gruppen daran hindere, „ihr Mütchen kühlen zu wollen“. Dabei könne es sich um „Links- oder mittlerweile auch Rechtsextremisten“ handeln, die sich nicht abgeschreckt fühlten, „weil Straftaten nicht richtig geahndet werden“. Wenn die Polizei Schwäche zeige und in der Minderheit ist, „dann wird das ausgenutzt“, warnte Seeger.

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