© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Allein mit Döner wird’s nicht schöner
50 Jahre Türken in Deutschland: Die ehrliche Bilanz steht noch aus
Michael Paulwitz

Bundespräsident Christian Wulff lobte Mitte September den „Beitrag zum deutschen Wohlstand“, den Einwanderer aus der Türkei geleistet hätten; sie hätten Deutschland „vielfältiger, offener und der Welt zugewandter gemacht“. Unermüdlich wiederholt seit vielen Jahren die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) und mit ihr Einwanderungslobbyisten jeder Couleur und türkische Massenmedien, Deutschland habe insgesamt von der Arbeitsimmigration profitiert, die „Gastarbeiter“ hätten „nach dem Krieg mitgeholfen, unser Land wieder aufzubauen und die Arbeiten erledigt, die die Deutschen nicht mehr machen wollten“. Aber was ist dran an der frommen Mär von der „Bereicherung“ durch Einwanderung?

Die Legende von der „Wiederaufbauhilfe“ türkischer Arbeitnehmer läßt sich durch einen einfachen Blick auf den Kalender widerlegen: Das Anwerbeabkommen wurde geschlossen, als der Wiederaufbau der zerstörten Städte im wesentlichen abgeschlossen war und Vollbeschäftigung herrschte. In dieser Situation traf sich das Interesse deutscher Arbeitgeber, das Arbeitskräfteangebot auszuweiten, statt für knappe Arbeitskraft mehr zu bezahlen und in Rationalisierung zu investieren, mit dem außenpolitischen Interesse der Bundesregierung, dem türkischen Drängen nach einem Entsendeabkommen zu entsprechen (siehe Seite 19 und Seite 20).

Hauptnutznießer der Gastarbeiterentsendung waren die Türkei und die deutsche Privatwirtschaft; der deutsche Staat und seine Sozialsysteme profitierten von Lohnsteuer und Sozialbeiträgen der ausländischen Arbeitnehmer allenfalls in einer Anfangsphase, nämlich solange deren Beschäftigungs- und Abgabenzahlerquote höher war als die der Einheimischen. Das sozialpolitische Schneeballsystem platzte in dem Moment, als nach dem Ende des „Wirtschaftswunders“ und der Ölkrisen-Rezession Anfang der Siebziger die Arbeitslosenzahlen nach oben und vor allem die türkischen Arbeitnehmer – anders als etwa das Gros der Spanier und Griechen – nicht nach Hause gingen, sondern vielmehr noch ihre Kinder und Familien nachholten.

1993, zwanzig Jahre nach dem Anwerbestopp, waren trotz von der Regierung Kohl in den Achtzigern zögerlich in Gang gesetzter „Rückkehrförderung“ aus 712.000 registrierten Türken 1,8 Millionen geworden. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Türken verharrte dagegen im gleichen Zeitraum bei rund sechshunderttausend und ging im darauffolgenden Jahrzehnt sogar kontinuierlich zurück. Für die türkischen Staatsbürger liegt sie seit 2004 konstant unter einer halben Million. Viele der oft angeführten etwa 100.000 türkischen „Selbständigen“ betreiben häufig Subsistenzwirtschaft in „Nischenökonomien“. Derzeit leben in Deutschland gut 1,6 Millionen türkische Staatsbürger, ein Drittel von ihnen wurde auch in Deutschland geboren; mit den eingebürgerten und seit 2001 von Geburt an mit deutschem Paß ausgestatteten Türkischstämmigen beträgt die Gesamtzahl der Türken in Deutschland rund drei Millionen.

Weil auch die türkischen Arbeitnehmer von Anfang an arbeits- und sozialrechtlich gleichgestellt waren, erwiesen sich die Gastarbeiterprogramme zwar für die Privatwirtschaft als Erfolg, nicht aber gesamtwirtschaftlich, da die Folgekosten die Gewinne schließlich übertrafen, wie Siegfried Kohlhammer im Merkur (731/2010) feststellte. Zur Rücksendung arbeitsloser Türken als Konsequenz aus dem Anwerbestopp konnte man sich 1973 nicht durchringen, mit einer positiven Bilanz einer dauerhaften Niederlassung eingewanderter Türken rechnete man aber schon damals nicht.

Berlins Finanzsenator kalkulierte 1973 für jeden sich integrierenden Gastarbeiter Infrastrukturkosten von 200.000 D-Mark, Münchens Stadtentwickler veranschlagten für ihre Region einen Integrationsbedarf von 2,5 Milliarden. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn wies 1997 auf der Grundlage des damaligen Einwanderungsstandes nach, daß die fiskalische Bilanz aus Einzahlungen und Leistungen aus Steuern und Sozialabgaben erst nach 25jähriger ununterbrochener Beschäftigung positiv wird. Eine volkswirtschaftliche Gesamtbilanz der Einwanderung wurde für Deutschland nie aufgestellt, „eine Billion Euro Sonderschulden aber hatte Deutschland bereits 2007 für Migranten, die mehr aus den Hilfesystemen entnehmen, als sie aufgrund schlechter Schulleistungen und anderer Handicaps in sie einzahlen können“, schätzte zuletzt Gunnar Heinsohn.

Blickt man auf die Beschäftigungszahlen und Sozialhilfequoten der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland, kann von einem „Beitrag zum Wohlstand“ kaum die Rede sein. Die Hartz-IV-Quote türkischer Staatsbürger in Deutschland lag 2010 bei 26 Prozent, die der Ausländer insgesamt betrug 18,6 Prozent, während von den Deutschen nur 7,5 Prozent das „ALG II“ beziehen. In einzelnen Ländern weichen die Werte dabei gravierend von den Durchschnittszahlen ab; in Berlin, dessen türkische Bevölkerung bereits in den siebziger Jahren die Hunderttausender-Marke überschritt und die deutsche Hauptstadt zur ersten türkischen Großstadt außerhalb der Türkei machte, leben nach Zahlen des DIW von 2008 knapp die Hälfte der inzwischen rund 200.000 Türken von Sozialtransfers. Bundesweit sind bis zu 40 Prozent der Hartz-IV-Bezieher Einwanderer.

Die Arbeitslosenquote der türkischstämmigen Bevölkerung ist seit vielen Jahren konstant mehr als doppelt so hoch wie der Durchschnittswert – mit einer Quote von 17 Prozent führen sie die Statistik an. Türkische Männer und Frauen weisen laut einer Erhebung des Bundesinnenministeriums von 2008 den höchsten Prozentsatz an ungelernten oder angelernten Arbeitern auf – über 45 Prozent. Die Einkommen der türkischen Haushalte sind daher im Vergleich der fünf größten Einwanderergruppen mit Abstand die niedrigsten; über 42 Prozent der türkischen Haushalte wird ein „Armutsrisiko“ bescheinigt.

Hauptgrund dafür ist der niedrige Bildungsstand, der die Türken in Deutschland zu „Sorgenkindern der Integration“ macht. Nur 14 Prozent der Türken und Türkischstämmigen haben Abitur oder eine andere Hochschulzugangsberechtigung, 30 Prozent haben gar keinen Schulabschluß. In Berlin sind es sogar alarmierende 75 Prozent. Türkische Staatsbürger zwischen 25 und 36 Jahren haben nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit zu 54 Prozent keinen Abschluß (eingebürgerte Türken: 33 Prozent) und nur zu zwei Prozent einen Hochschulabschluß (Eingebürgerte: zehn Prozent). Deutsche haben dagegen nur zu zwölf Prozent keinen Berufs- und zu 20 Prozent einen Hochschulabschluß. Auch dieses Problem ist nicht neu; 2001 waren von hundert deutschen Arbeitslosen 32 ohne Berufsausbildung, von hundert Ausländern 77 und von hundert Türken 86.

Jeder fünfte türkische Staatsbürger in Deutschland beherrscht Deutsch schlecht oder gar nicht. Zwanzig Prozent der Türken ohne Abschluß beherrschen auch die türkische Schriftsprache kaum; viele sind Analphabeten in zwei Sprachen, bei den Türkinnen ist der Analphabeten-Anteil mit sieben Prozent besonders hoch.

Angesichts der in zahlreichen Befragungen und Studien festgestellten erhöhten Neigung türkischer Einwanderer, sich in Parallelgesellschaften zurückzuziehen und unter sich zu bleiben, den Kontakt zu meiden und bevorzugt – zu 80 Prozent laut einer Studie des Instituts Data4you, bei türkischen Frauen fast ausschließlich – türkische Medien zu nutzen, sind auch diese Zahlen kaum verwunderlich.

Auch in der Kriminalitätsstatistik ist das Scheitern der Integration deutlich ablesbar; türkische Jugendliche nehmen hier regelmäßig Spitzenplätze ein. Die Schülerbefragung 2005 des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen bescheinigte jungen Türken die höchste Gewaltneigung; laut aktueller Berliner Kriminalstatistik werden Türken über alle Altersgruppen hinweg 2,5mal häufiger tatverdächtig als Deutsche. Bundesweit stieg der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen in der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2010 auf 20 Prozent, von denen wiederum 21 Prozent Türken waren; das entspricht einem Anteil an allen Tatverdächtigen von 4,6 Prozent bei einem Bevölkerungsanteil von knapp zwei Prozent. Eingebürgerte Türken sind in diesen Zahlen nicht erfaßt.

Angesichts dieser Bilanz wird man statt Christian Wulff wohl eher Thilo Sarrazin recht geben, der die Gastarbeitereinwanderung rückschauend als „gigantischen Irrtum“ bezeichnet, oder Helmut Schmidt, der es schon im November 2004 als „Fehler“ bezeichnet hatte, „daß wir zu Beginn der sechziger Jahre Gastarbeiter aus fremden Kulturen ins Land holten“.

Foto: Döner-Imbiß in München: Die meisten türkischen Selbständigen betreiben Nischenökonomie

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