© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Edelkitsch in Sepia
Komische Oper Berlin: Andreas Homoki inszeniert „Das schlaue Füchslein“
Jens Knorr

Ein Förster geht von Wirtsstube zu Wirtsstube sein Leben ab und das Leben ihm. Vier Wirtsstuben, die immer nur die eine zu verschiedenen Zeiten bedeuten, sind auf der Drehbühne um ein Atrium herum angeordnet, darin ein Rest von Wald, ganz eingeschlossen, ganz ausgeschlossen. Das Bühnenbild von Christian Schmidt zielt ins Zentrum von Leoš Janáčeks zwischen 1922 und 1924 komponierter Oper und verfehlt es doch. Das Wirtshaus ist ein Ort des Räsonierens, der Wald könnte Ort eines Geschehens sein, von dem alles ausgeht, auf den alles zuläuft. Wer ihn aber in der Inszenierung von Andreas Homoki durchläuft, kommt immer wieder nur zum Wirtshaus heraus.

Ein Förster nimmt dem Wald eine junge Füchsin fort. Die läßt sich nicht zähmen, entkommt und nimmt sich einen Fuchs. Die Nachstellungen des Försters kann sie parieren, ein Wilderer macht seinen Schuß. Wieder will der Förster dem Wald eine junge Füchsin fortnehmen, erwischt aber nur einen Frosch. Seine Flinte läßt er zu Boden gleiten.

Auf spinnwebfeine Weise scheint das Schicksal der Füchsin mit dem des Mädchens Terynka verbunden, die in Janáčeks Oper selbst nicht auftritt, Gestalt nur in Traum, Erinnerung und Erzählung der drei Honoratioren des Dorfes annimmt, des Schulmeisters, des Pfarrers und eben des Försters. Ihr Spiel mit den Männern und deren Spiel mit ihr ist das Spiel, das der bald siebzigjährige Komponist mit seinem „schlauen Füchslein“ treibt, „als wäre es zahm.“

Doch hat sich der tschechische Komponist Janáček (1854–1928) entschieden dagegen verwahrt, Menschen- und Tierwelt in eins zu setzen, insbesondere gegen seinen deutschen Übersetzer und Popularisierer Max Brod – erfolglos, wie man weiß. Die Füchsin symbolisiert nicht das Mädchen, die Eule nicht die Försterin, der Dachs nicht den Pfarrer, die Mücke oder – an der Komischen Oper – der Hahn nicht den Schulmeister.

Wo die Oper – in aller Doppeldeutigkeit des Wortes – Instrumentalisierung von Natur zu menschlichen Zwecken thematisiert, wäre es an der Regie gewesen, diese Instrumentalisierung anschaulich und einsichtig zu machen, anstatt sie bewußtlos zu vollstrecken, indem sie die Tierwelt lediglich als Funktion der Menschenwelt gelten läßt. Jene ist nicht weniger real als diese. Walter Felsenstein hat darum gewußt. Seine modellhafte Inszenierung von 1956, dokumentiert in einem Opernfilm von 1965, verhalf der Oper zum Durchbruch, lastet aber schwer auf den Brettern des Hauses in der Behrenstraße. Aus historischer Distanz betrachtet, mögen die tiertümelnden Gesten seiner Sängerdarsteller befremdlich anmuten, doch waren sie wohlgesetzt, um die Sphären der Oper voneinander zu scheiden, damit sie mit der Genauigkeit des Traums mit- und gegeneinander überhaupt erst ins Spiel gebracht werden können.

Die von Intendant Andreas Homoki über Janáčeks Musik gelegte Traumwelt ist so banal wie diffus. Aus dem Allgemeinplatz, daß es die Menschen dann und wann wie die Tiere machten, läßt sich inszenatorisch nicht viel Beute schlagen. Homoki begnügt sich mit der leichten. Die Menschen verwandeln sich nicht in Tiere, sie setzen sich nur dann und wann Tierköpfe auf. Zu seiner Bebilderung des Lebens auf dem Lande, wo drei ältere Herren und die Dorfmänner allesamt bei der wilden Zigeunerin mit rostrotem Haar keinen Treffer erzielen oder wo es in der Dorfschule zugeht wie in einem Hühnerhof, hätte es der Tierköpfe eh nicht bedurft. Mit und ohne chargiert sich jeder, so gut er kann, durch seine Rolle. Insgesamt herrscht illustrative Betriebsamkeit vor, die Drehbühne dreht sich und Solisten und Chorsolisten füllen grimassierend und gestikulierend Raum um Raum und Zeitchen um Zeitchen. Unerfüllt bleibt die Musik zurück, kaputtgespielt der formale Aufbau der Oper, die dramaturgisch so wichtige Zweiteiligkeit jedes der drei Akte.

Unter Dirigent Alexander Vedernikov läßt das Orchester der Komischen Oper seinen Part routiniert als Begleitmusik zum Bühnengeschehen ablaufen, und, was das Orchesterzwischenspiel nach dem Tod der Füchsin betrifft, zum Aufguß einer Lichtspielszene aus Opas Kintopp. So sehr ihm die Rolle des Försters an diesem seinen Hause zustehen mag, für Jens Larsen kommt sie spät. Was er stimmlich nicht darzustellen vermag, sucht er in seinem Spiel unterzubringen.

Von Brigitte Geller als Terynka, die sie auf den Part der Füchsin zu singen hat, gibt es ausdifferenzierte lyrische Passagen zu hören, der Stimme fehlt die Exuberanz für den großen Monolog der Füchsin. Guten Eindruck machten Karolina Gumos als Fuchs, hier ein junger Förster als Alter ego des alten, und Carsten Sabrowski als Wilderer Harašta, als Widergänger des Försters gleich diesem in beiden Welten zu Hause.

„Ich versenke mich ganz in die Natur“, schreibt Janáček an Brod, „aber ich versinke nicht darin.“ Wie also ginge Versöhnung mit der Natur auf dem Theater, ohne in ihr zu versinken, aber auch, ohne ihr in falsche Künstlichkeit auszuweichen? Die Inszenierung hält sowohl falstaffsches Schlußgelächter als auch einsame Papiersonnenblume im Angebot. Wieviel Natur steckt eigentlich in der hochartifiziellen Kunstform Oper und dem Operngesang und in der Sprechmelodie von Menschen, Tieren, Dingen, aus denen Janáček seine Motive, Themen, Formen entwickelt hat. Wieviel Natur ist in der Kunst, und wann wird Kunst zu zweiter Natur? Wie also wären die Abenteuer des hellhörigen Füchsleins zu fassen und zu inszenieren, besser als Brod, besser als Felsenstein und – um eine andere Äußerung Janáčeks zu paraphrasieren – ohne die Aufführung nach dem Wirtshaus riechen und es um die echte Heiterkeit geschehen zu lassen?

Die nächsten Vorstellungen in der Komischen Oper Berlin, Behrenstraße 55-57, finden statt am 23. Oktober, 4., 9., 26. November, 4., 16. Dezember. Telefon: 030 / 47 99 74-0  www.komische-oper-berlin.de

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