© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Kollidierende Leitbegriffe
Integration: Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung untersucht die kulturellen Besonderheiten von muslimischen Jugendlichen aus Einwandererfamilien
Fabian Schmidt-Ahmad

Wenn ein Sozialarbeiter von Problemen mit „Jugendlichen“ spricht, oder der Polizeibericht „Südländer“ erwähnt, dann verbirgt sich hinter dieser kafkaesken Umschreibung fast immer eine bestimmte Gruppe: „Muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland“ – so lautet der Titel einer Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Ahmed Toprak und Aladin El-Mafaalani – der eine Erziehungs-, der andere Arbeitswissenschaftler – gehen hier der Frage nach, wieso türkische und arabische Jugendliche spezifische Verhaltensmuster besitzen, durch die sie sich deutlich von anderen Einwanderergruppen unterscheiden.

Zwar sehen die Autoren – die betonen, mir ihrer Untersuchung bereits vor der Veröffentlichung von Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ begonnen zu haben – die ökonomisch prekären Verhältnisse muslimischer Einwandererfamilien als ausschlaggebend an, weisen jedoch auf den besonderen kulturellen Hintergrund hin. Und müssen einen harschen Kulturkampf im Klassenzimmer diagnostizieren: „Während in den traditionell-muslimischen Familien Autorität und Loyalität die dominierenden Werte darstellen, werden in der Schule Selbständigkeit und Selbstdisziplin erwartet.“

Wie unter einem Brennglas brechen hier Konflikte auf, die sich aus dem Kulturunterschied zwischen deutscher und islamisch geprägter Gesellschaft ergeben. Hier Eigenverantwortlichkeit, Disziplin und Verständigung, dort Ehre, soziale Kontrolle und Autorität als jeweilige Leitbegriffe, die miteinander zwangsläufig kollidieren müssen und überforderte Lehrer und Eltern zurücklassen. Dabei war die Ausgangslage zunächst günstig: „Lehrkräfte genießen in praktisch allen muslimisch geprägten Gesellschaften eine derart besondere Autorität, daß von den Eltern Erziehungsmaßnahmen in der Schule niemals in Frage gestellt werden.“

Die Autoren weisen darauf hin, daß die ersten Türken in Deutschland im Vergleich zu anderen Einwanderergruppen hohe Hoffnungen in das deutsche Schulwesen setzten. Und sich enttäuscht abwendeten: „Der Mißerfolg beziehungsweise die ausbleibende gesellschaftliche Etablierung der eigenen Kinder wird von konservativen Eltern häufig auf den Mangel an Kontrolle, Strenge und Autorität in der Mehrheitsgesellschaft zurückgeführt, wodurch sie sich gezwungen fühlen, durch eine noch stärkere Verfolgung traditioneller Erziehungsziele und -stile entgegenzusteuern.“

Was dabei von außen als Benachteiligung der Individuen gesehen wird – die soziale Abschottung –, wird von innen als Stärkung des Gruppenwesens erlebt. Ein Wesen, welches seinen Mitgliedern spezifische, nicht hinterfragbare Verhaltensweisen oktroyiert. Vermittelt nicht zuletzt durch allgegenwärtige Gewalt, die als solche schon gar nicht mehr auffällt: „Ohrfeige – im Türkischen ‘tokat’ – ist die gängigste Form der Bestrafung“, schreiben die Autoren, „und wird nicht als Gewalt definiert.“

Zusammenfassend heißt es in der Studie: „Es kann also festgehalten werden, daß die Kinder mit einem strengen und weitreichenden Regelwerk aufwachsen, welches autoritär begleitet wird.“ Dabei seien die Eltern auf umfangreiche Kontrolle angewiesen – auch außerhalb der Familie. Dadurch wachse die ethnische „Community“ in bestimmten Bezirken größerer Städte stark zusammen. „Die Werte, die diesen Migranten wichtig sind, können nur gemeinschaftlich eingehalten werden. Diese Gemeinschaft führt dazu, daß in der Nachbarschaft sofort darüber geredet wird, wenn ein muslimisches Mädchen mit einem Jungen gesehen wurde“, schreiben die Autoren. Dadurch werde die Ehre der Familie schnell in Frage gestellt.

Was eine Lösung des Konflikts betrifft, halten sich die Autoren bedeckt: „In Deutschland haben sich noch keine Strukturen etabliert, die mit Diversität und Ungleichheit erfolgreich umgehen.“ Nur sachte deuten sie die Notwendigkeit an, „daß sich die Kinder mit der deutschen Kultur (…) gut auskennen“ müssen. Ein Kulturrelativismus wird zurückgewiesen: „Dies mit dem Argument kultureller Selbstbestimmung zu negieren, trägt nicht zur Verbesserung der sozialen Lage der Migranten bei.“ Man könnte es auch schärfer formulieren: Der Staat muß seinen Erziehungsauftrag autoritär und nicht hinterfragbar durchsetzen. Kommt er diesem Auftrag nicht nach, wie ihn muslimische Eltern selbst fordern, kann er ihnen nicht ein positives Bild staatsbürgerlicher Tugenden, der Liebe zur Nation, vermitteln, so holen sich die muslimischen Jugendlichen ihre Identität über andere Kanäle.

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