© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Henkels Weg zum Notausgang
Euro-Krise: Auf einer Tournee durch drei deutsche Städte stellt der frühere BDI-Präsident sein Konzept für die Rettung der Gemeinschaftswährung vor
Ansgar Lange

Hans-Olaf Henkel hat sich vom Saulus zum Paulus entwickelt. Einst war er ein überzeugter Befürworter des Euro. Heute sieht er die EU auf einem mit „Schmierseife“ unterlegten Weg in die Transfer- und Schuldenunion. Seiner Glaubwürdigkeit hat dieser Sinneswandel nicht geschadet, denn bei einer gut besuchten Veranstaltung in der Münsterlandhalle in Münster – Auftritte in Hamburg und Berlin folgen – konnte der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) seinen Wandel plausibel begründen.

Und welcher Politiker ist schon in der Lage, in einem rund 90minütigen freien Vortrag zu beschreiben, daß die Regierungen seit dem Mai 2010 auf einem Irrweg sind, obwohl über 80 Prozent der Menschen in Deutschland ganz klar gegen weitere Rettungsorgien der Bundesregierung votieren? Der bekennende Hanseat, nach dem die Leibniz-Gesellschaft einen giftigen Nachtfalter benannt hat, sparte nicht mit scharfer Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und erläuterte sein Alternativmodell zum derzeitigen „Euro-Betrug“.

Wie kam es zu dem Meinungswandel? Henkel führt ganz klar das totale Versagen der Politik an. Kein einziges Stabilitätsversprechen sei eingehalten worden. Die von den Maastricht-Verträgen vorgeschriebene Drei-Prozent-Klausel bei der Neuverschuldung sei hundertmal gerissen worden. „Man kann sich in der Geldpolitik nicht auf Politiker verlassen“, sagte Henkel. Mittlerweile führe der Euro insbesondere in den Südländern zu realer Verarmung, er sei zu einer Ansteckungsmaschine geworden: „Wenn Griechenland Schnupfen hat, müssen wir Angst vor einer Lungenentzündung haben.“ Dem Publikum – meist gediegener westfälischer Mittelstand mittleren Alters, darunter aber auch einige jüngere Zuhörer – konnte er wenig Hoffnung machen. Die Politik werde nach dem Sündenfall, daß die EZB massenhaft marode Staatspapiere aufgekauft habe, munter weiter in die falsche Richtung laufen.

Daß ein solches „System organisierter Verantwortungslosigkeit“, welches insbesondere Finanzminister Schäuble in Form einer Transferunion herbeizusehnen scheint, nicht funktioniert, machte Henkel an einem innenpolitischen Beispiel deutlich. Der deutsche Länderfinanzausgleich hat dazu geführt, daß nur noch drei Geberländer (Hessen, Baden-Württemberg, Bayern) die Wohltaten für 13 Nehmerländer bezahlen, unter anderem kostenlose Kindergartenplätze im „sexy“ Berlin. Wenn sich die EU zu einer Schuldenunion entwickele, dann würden die Deutschen bald auch keinen Sinn mehr im Sparen sehen. Die Folge: Der Wettbewerb wird ausgehebelt. Läßt sich „chère Angela“ weiter von „cher Nicolas“ über den Tisch ziehen, dann wird die Euro-Zone dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Wie sieht die Alternative aus? Henkel zufolge hat es kein geschichtliches Beispiel dafür gegeben, daß eine Umschuldung ohne eine Währungsabwertung geglückt sei. Er verwies auf Argentinien und Rußland, die eine solche Roßkur erfolgreich absolviert hätten. Würde man Griechenland umschulden, aber trotzdem im Euro-Raum belassen, dann könnte das Land nicht abwerten. Henkel sprach sich vehement für eine Art „Nordeuro“ aus, der von Deutschland, Österreich, Finnland und den Niederlanden getragen werden sollte. Dänemark und Schweden würden sich einem solchen starken Währungsverbund sicher bald anschließen, weil die Mentalität insbesondere in Finanzangelegenheiten eine ähnliche ist, sagte Henkel. Die 13 Südländer würden dann einen schwächeren Währungsverbund, also eine Art „Südeuro“, bilden – mit der Chance zur Abwertung.

Henkel machte klipp und klar deutlich, daß für ihn auch Frankreich in den Südverbund gehöre. Für Deutschland böte dieses Modell große Vorteile. Die D-Mark sei insgesamt 17mal aufgewertet worden. Dies habe die Exportindustrie gezwungen, besser und einfallsreicher als die Konkurrenz zu sein. Rentner und Arbeitnehmer profitierten von einer niedrigen Inflationsrate. In der jetzigen Form entwickele sich der Euro zu einem Spaltpilz. Nicht ohne Grund sei Angela Merkel inzwischen die unpopulärste Politikerin in Griechenland.

Am Ende seines mit großem Beifall aufgenommenen Vortrags machte sich Henkel für ein Europa der Vaterländer stark. Er wandte sich gegen die „verlogene Europa-Rhetorik“ eines Wolfgang Schäuble und plädierte für eine sachlichere Diskussion, die zur Zeit auch in den Talkshows und den Wirtschaftsredaktionen noch nicht geführt werde. Auf die Frage, was denn der einzelne Bürger tun könne, empfahl das Nichtparteimitglied den Beitritt zur FDP. Die Liberalen mit ihrer „Jugend forscht“-Truppe an der Spitze hätten in der Euro-Politik total versagt. Doch die FDP habe an sich ein tolles Programm, und als Neumitglied habe man die Möglichkeit, an dem vom „Euro-Rebellen“ Frank Schäffler initiierten Mitgliederentscheid mitzuwirken.

Auch wenn 80 bis 90 Prozent der Deutschen von den im Bundestag vertretenen Parteien in der Euro-Frage nicht repräsentiert würden, hielt Henkel eine Parteineugründung für schwierig. Eine solche müsse pro-europäisch, aber Euro-kritisch sein. Nach den Worten des britischen Außenministers William Hague ist die Euro-Zone ein „brennendes Haus ohne Ausgang“. Henkel hat mit seiner Idee des „Nordeuro“ einen möglichen Notausgang benannt.

Weitere Veranstaltungen zur Euro-Krise mit Hans-Olaf Henkel am 28. Oktober in Hamburg (20 Uhr, Laeiszhalle) und am 29. Oktober in Berlin (20 Uhr, Universität der Künste). Karten gibt es unter www.bucardo.info

Foto: Der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel: „Man kann sich in der Geldpolitik nicht auf Politiker verlassen“

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